Viele Bürger in Herbern haben über lange Zeiten hin Totenzettel von Angehörigen und von Nachbarn oder Bekannten gesammelt. Daraus sind geschichtliche Dokumente geworden, die einen Einblick in die Trauer- und Beerdigungskultur der vergangenen 200 Jahre geben.
Der
Totenzettel, wie er sich heute in vielen Sammlungen findet, ist ein Kind des 17.
Jahrhunderts, wenn man von Einzelfällen aus früherer Zeit absieht.
Niederländische Quellen nennen das Jahr 1668 als frühest nachweisbares Datum der
„Bidprentjes“. Der älteste Würzburger Totenzettel stammt aus dem Jahr 1672.
Totenzettel erfreuen sich in den Niederlanden besonderer Beliebtheit, wie die
umfangreichen Sammlungen in Nijmwegen und Amsterdam mit je 300 000 Exemplaren
sowie jene des „Zentral Büro voor Genealogie“ in Den Haag mit über 1 Mio.
Exemplaren zeigen. Inhalt und Umfang haben sich dabei den Gewohnheiten der
jeweiligen Zeit angepasst. Vor Ende des 17. und vor allen im 18. Jahrhundert
ließ man auf vielen Totenzetteln das Leben des Verstorbenen Revue passieren,
vermerkte wichtige Ereignisse und pries die religiöse Prägung des oder der
Vertorbenen. Häufig wurden Trost spendende Zitate biblischer oder sonstiger
Herkunft abgedruckt, manchmal in lateinischer Sprache oder in der Übersetzung.
Je weiter man sich dem 20. Jahrhundert nähert, desto mehr verknappt sich der
Umfang der Totenzettel auf einige wenige Lebensdaten des Verstorbenen und desto
mehr vereinfacht sich der Bildschmuck. Es bleibt häufig nur der Trauerrand. Der
Wunsch, der Verstorbene möge die ewige Ruhe erlangen und die an die
Hinterbliebenen gerichtete Bitte um ein Gebet für den Verstorbenen gehört zum
unverzichtbaren Bestandteil der Totenzettel.
Wann der Brauch aufgekommen ist, Totenzettel zu schreiben, ist in vielen
Publikationen beschrieben und im Internet nachzulesen. (siehe oben). Ein
denkbarer Sinn, der dahinter steckt, ist möglicherweise die Idee, das Andenken
an den Verstorbenen zu erhalten oder über den Augenblick hinaus zu verlängern
und ihrer im Gebet zu gedenken. Die Totenzettel geben Auskunft über Menschen,
über junge, über alte, über Soldaten, über Ordensfrauen, Priester und Bischöfe.
Sie zeigen auch Formen der Frömmigkeit und der Trauerbewältigung, die damals eng
miteinander verbunden war.
Die Schauseite der Totenzettel zeigt Darstellungen von der Geburt Jesu, vom Herzen Jesu, vom Haupt Jesu mit der Dornenkrone, vom Tod am Kreuze oder sonst aus dem Leben oder der Passion Jesu. Dann gibt es die Bilder der Gottesmutter als Schmerzensmutter, als Himmelskönigin, als „mater purissima“, „mater dolorosa“ oder als Pieta.
Dazu gesellen sich Bilder von Heiligen oder Engeln, besonders bei Kindern. Bis etwa Ende des 2. Weltkrieges hatten diese allegorischen Darstellungen den Zweck, das Leben der Verstorbenen in die Nähe des Lebens Christi und seines Leidens zu rücken, um durch ihn aufzuerstehen. Zusammengefasst werden diese Allegorien durch Bibelsprüche wie „Der Tod ist das Tor zum Leben.“
Auf der Rückseite - oder bei gefalteten auf den Innenseiten - wird das Leben der
Verstorbenen ausführlich gewürdigt. Dazu findet man meistens die Daten von
Geburt und Tod, die Todesursache und besondere Verdienste der Verstorbenen sowie
eine Gebetsempfehlung und einen Spruch wie „Ruhe im Frieden“.
Eine der Zeit angepasste Entwicklung - wie vorher beschrieben - ist auch in den vorliegenden Zetteln genau nachzuvollziehen und wird mit einigen Beispielen belegt.
Für ein 18jähriges Mädchen, 1881 gestorben, wurde ein für damalige Zeiten technisch sehr aufwändiger Totenzettel gedruckt. Die Schauseite ist in Schwarz – Weiß – Silber mit einer Engel – Kind Darstellung gedruckt. Die Rückseite enthält alle Elemente, wie sie vorher beschrieben sind. (Bild: Maria Anna Schürmann, beide Seiten)
Die unverheirateten Frauen und Männer – die berühmten Onkel und Tanten – wurden oft für ihr frommes, stilles und sanftes Leben gewürdigt. Insbesondere wurde fast immer die Mitgliedschaft in der Jungfrauen- oder Jungmänner- Sodalität, später Kongregation genannt, daher die Bezeichnung Kongreganist(in), gewürdigt:
(Bild: Clara Klosterkamp und Franz Nientiedt Josefine Althoff, nur Rückseite)
Bis in die 50er Jahr des 20. Jahrhunderts war es üblich, dass verstorbene verheiratete Frauen mit dem noch lebenden oder dem verstorbenen Gatten genannt wurden. (Bild Berger und von der Halben, nur Rückseite)
Verstorbene
mit Besitz, Titel oder Amt wurden entsprechend hervorgehoben.
(Bild: Oettigmann, Brünemann, Mense, Schürmann, Maria Blome, nur Rückseite)
In den Jahren des Ersten Weltkrieges wurden die Totenzettel für die gefallenen Soldaten sehr aufwändig gestaltet. Einige wurden doppelt gelegt und dazu noch mit verschiedenen Schauseiten gedruckt. Sprüche, die nur aus der Zeit zu verstehen sind, zieren ein Denkmal, wo ein Engel den Gefallenen den Weg in den Himmel weist: „Sie waren bereit, für Gesetz und Vaterland zu sterben“ oder „ Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben“ (Horaz). Bibeltexte wie „Ich habe den guten Kampf gekämpft (2. Tim,.4 7.) oder „O ihr alle, die ihr vorbei geht, seht, ob ein Schmerz gleicht meinem Schmerze.“ Der gefallene Soldat wurde als Held dargestellt, der bei einer großen Sache das Leben lassen musste.
(3 typische Bilder, beide Seiten)
In den 30er,
40er und 50er Jahren wurde die Mitgliedschaft im Mütterverein besonders
herausgestellt.
(Bild: Pollok, Kortsteger, Heimann, , Rückseite)
In den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg ist die Gestaltung im Großen und Ganzen ähnlich geblieben. Dann erfolgt in mancher Beziehung ein Bruch mit der Vergangenheit: Zwar wurden noch die zum Teil vorhandenen Druckvorlagen weiter verbraucht, aber die neueren Druckvorlagen ab den 40er Jahren zeigen eine moderne Prägung. Nach und nach verschwindet der Trauerrand. Die Totenzettel, die während des Krieges notgedrungener Maßen in großen Mengen gedruckt wurden, passen sich dem zunehmendem Mangel von Jahr zu Jahr an: Zuerst wird das Papier schlechter, dann die Druckqualität und schließlich gibt es keinen Druck mehr. Die letzten Exemplare sind Druckvorlagen, die einzeln mit Schreibmaschinen getippt wurden. (Eine nahezu vollständige Sammlung aller Totenzettel der Gefallenen aus Herbern während des 2. Weltkrieges hat dankenswerterweise Willi Gröne veranlasst. Den Autoren liegt eine Kopie der CD vor; d. Red.)
Einigen ist anzumerken, dass man dem NS Regime etwas näher stand, als im
Münsterland üblich. Dann gibt es noch 1944 und 45 Totenzettel in alter Qualität,
bei denen man annehmen muss, dass mit „Naturalien“ bezahlt wurde.
(Bild: Nordhoff, Schmitz (beidseitig), Krampe (beidseitig) – Overmeyer, Ophaus, Heitmann (beidseitig))
Nach dem
Kriege baute sich eine überwiegend der Zeit angepasste Form der Gestaltung
weiter aus. Strenge Formen, einfaches, klares Schriftbild mit oder ohne einen
Trauerrand sind vorherrschend. Die Schrift wechselt zu klarer Lateinschrift und
die Drucke werden mehrfarbig. Die Schauseite zeigt kaum noch Bilder, Sprüche mit
oder ohne Kreuz überwiegen. Die Lebensbeschreibung wird stark reduziert, der
Bezug auf die Erlösung bleibt.
(Bild: Lümke , Eckmann rückseitig, Tentrup und Schefer schauseitig,
Vennemeyer beidseitig)
Das Leben der Ordensleute wird ebenfalls dokumentiert:
Der Bestatter in unserem Raum, in den meisten Fällen der Schreiner, initiierte bei dem Seelenamt nach der Opferung den sogenannten Opfergang: Vor der Kommunionbank im Mittelgang verteilte er die Totenzettel, hinter ihm auf der Kommunionbank stand das Körbchen, in das eine Spende gelegt wurde. Soweit uns bekannt ist, gehörte das Geld dem Bestatter. Der Zettel wurde in das Gebetbuch gelegt und blieb häufig jahrelang darin liegen. Beim Benutzen de Gebetbuches blieb man immer wieder zufällig bei einem Totenzettel hängen, der ab und an als Lesezeichen diente.
Wer druckte die Totenzettel?
Karl (?) Ueter in Herbern auf der Südstr. im jetzigen Haus Angelkort/Eckmann, der bei der Druckerei Heilsbeck in Drensteinfurt drucken ließ; danach Bernhard Debbelt, der bei Ueter eine Lehre als Buchbinder gemacht hatte, gleichzeitig und in Konkurrenz mit Lube und später Paul Biermann sowie Joseph Althoff. Heute werden die Totenzettel überwiegend von Bernhard Eckmann gedruckt, der übrigens als einziger auf Eigenwerbung darauf verzichtet.