Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Der
hier vorliegende Abriss über die Pfarrgemeinde St. Benedikt in Herbern umfasst einen Zeitraum von
ungefähr 200 Jahren, und zwar von 1600 - 1807. Neben der im Anhang aufgeführten
Literatur haben sich die Autoren mit den Protokollen der Archidiakone befasst,
die allesamt im Bistumsarchiv Münster aufbewahrt liegen (Bistumsarchiv
Münster, St. Benedikt Herbern, Archiv Generalvikariat Münster).
Unser
vordringliches Anliegen war dabei, nicht nur einen chronologischen Überblick zu
verschaffen. Vielmehr wollten wir Einblicke gewähren in das bunte, aber auch
oft qualvolle Leben der Parochianer (Gemeindemitglieder), wie sie die Stürme
der Zeit in Form von Seuchen und Kriegen er-(über-)lebt haben. Herausgekommen
sind dabei teils lustige, aber auch teils ernste Zeitbilder,
Außerdem
galt unser Bemühen, die Begebenheiten und Ereignisse in ihren jeweiligen
größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhang einzubetten. Ich denke, man kann mit
Fug und Recht behaupten, dass die Darstellung der Lebensumstände in der Gemeinde
St. Benedikt, Herbern, durchaus als exemplarisch anzusehen sind für das Leben
der ländlichen Bevölkerung im westlichen und südlichen Westfalen. In diesem
Zusammenhang sei auch hingewiesen auf die Abhandlung „Das
dörfliche Leben im Kirchenjahr“.von den gleichen
Autoren.
Ein
besonderer Dank gilt hierbei Josef Kemming, der die entsprechenden Doku-mente
aus dem Bistumsarchiv in Münster in mühseliger Kleinarbeit durchgeforstet und
teilweise aus dem (Kirchen-)Latein übersetzt hat. Meine Unterstützung war dabei
eher formaler und beratender Art.
Hier
noch ein Hinweis zur Legende: Quellentexte werden grundsätzlich in kursiver Schrift und
Anführungszeichen wiedergegeben. Sofern nicht anders angegeben stammen die
Quelltexte allesamt aus dem Bistumsarchiv Münster. Anmerkungen der Autoren in
den Quellentexten werden in [eckigen Klammern] dargestellt,
Herbern, im März 2009
Egon Zimmermann
Untersucht
man die Geschichte unserer Pfarrgemeinde, so stellt man fest, dass wir gar
keine Beziehung mehr zum 17. und 18. Jahrhundert haben. Vielleicht schlummert
bei dem Einen oder Anderen noch einiges verschwommenes Schulwissen von den
schlimmen Kriegen, wie der 30-jährige oder der 7-jährige genannt werden, die
Not und Elend über unser Land brachten, oder den napoleonischen Kriegen mit den
gewaltigen Umwälzungen. Als Fazit kann man festhalten, dass neben diesen Kriegen
doch immer soziale Konflikte das tägliche Leben beherrschten. Man denke nur an
das Geflecht der Abhängigkeiten von Adel, Kirche und Bürgern.
Nichtsdestoweniger war es gerade die Kirche (St. Benedikt), die so etwas wie
ein Bindeglied zwischen den einzelnen Schichten darstellte. Wenden wir uns aber
zunächst einmal der Chronologie der Ereignisse zu.
Gebaut
wurde unsere heutige Kirche unter Pfarrer Wegmann bald nach dem schrecklichen
30-jährigen Krieg als Ersatz für ein im Krieg verfallenes Gebäude. Welch eine
Begeisterung und welch eine Aufbruchstimmung müssen in der arg geschundenen Gemeinde geherrscht
haben, ein solches Bauwerk zu beginnen.
Dieser Zeitgeist spiegelt sich auch bei
den Adeligen wider, denn im gleichen Zeitraum wurden noch das Schloss Westerwinkel
und Teile von Schloss Itlingen erbaut. Die Not der Bevölkerung lässt sich nur
erahnen; denn trotz des Friedensschlusses von Münster (1648) litt das Dorf
immer wieder durch stationiertes oder durchziehendes Militär mit den
einhergehenden Repressalien, Quälereien und Plünderungen durch die Holländer,
die Franzosen oder die Soldaten des Bischofs, die Engländer, Preußen und die Kaiserlichen.
In
einer undatierten Notiz des Pfarrers Wegmann (1663-1703) heißt es: „Den 13 Xbris
angefangen zu arbeiten ahn den Wandenbrecken zu der Herberischen Kirch“ [Am 13. Dezember Beginn der Abbrucharbeiten der Kirche
in Herbern] Über Baustil,
Baufortschritt, Abwicklung und Ausstattung des Gebäudes ist im Wesentlichen von
Julius Schwieters1 alles gesagt, deswegen beschränken wir uns hier
über den Zustand der christlichen Gemeinde und das Leben der Bürger in der
Gemeinde, soweit es die Quellen hergeben.
Man
muss wissen, dass in dieser Zeit das Bistum Münster die geistliche und die weltliche
Macht ausübte und dieser Zustand erst auf Druck Napoleons beendet wurde. So
findet man im Pfarrarchiv, das vom Bistum in Münster verwaltet wird, nicht die
meisten Informationen. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Bischöfe Johann von
Hoya2 im 16. Jahrhundert und Christoph
Bernhard von Galen (* 1606; † 1678)
im 17. Jahrhundert regelmäßige Inspektionsreisen,
wie vom Trienter Konzil (besonders in der dritten Sitzungsperiode 1562/63)
gefordert, in ihrem Bistum durchführten oder durch den Archdiakon durchführen ließen und die vorgefundenen Zustände protokolliert
wurden, lässt sich dort auch für Herbern ein Spiegel des damaligen menschlichen Lebens mit allen Höhen und Tiefen rekonstruieren.
Diese Visitationen wurden weiterhin regelmäßig zusammen mit den Sendgerichten
durchgeführt und endeten mit der weltlichen Herrschaft des Bischofs unter
Napoleon. In dem örtlichen Pfarrarchiv wird beschrieben, wie die Menschen durch
Soldaten drangsaliert wurden und wie sich gleichzeitig nahezu alle Waren
verteuerten. Anderseits stößt man auch auf die Beschreibung lustiger Begebenheiten
mit Spiel und Tanz.
Abbildung 1:
"Checkliste" des Archidakon in Latein
Das
Fürstbistum Münster war seit 1193 in 29 Archdiakonate aufgeteilt, wobei Herbern
zum Archdiakonat Winterswyk gehörte. Geleitet wurden sie von einem Archdiakon,
der in der Hierarchie des Bistums, die überwiegend vom Adel besetzt wurde, eine
hohe Führungsposition innehatte. Die
Archdiakone übten die geistliche Gerichtsbarkeit in Bezug auf Vergehen gegen die Religion, die
Kirchengebote und die bischöflichen Verordnungen aus. Ab dem 17. Jahrhundert
übernahmen sie die Visitation der Gemeinden und Kirchen ihres Bereiches, die
Leitung des Kirchenbauwesens, die Aufsicht über den Gottesdienst und die
Kirchengerätschaften, außerdem die Prüfung und Anstellung der Geistlichen. Die
Gerichtsbarkeit wurde in den sogenannten Sendgerichten (oder auch Synoden)
ausgeübt.
Für
die Visitationen, die unmittelbar nach dem Send durchgeführt wurden, gab es eine
„Checkliste“, wie wir heute sagen würden. 25 Punkte wurden abgearbeitet, worüber
ein Protokoll geschrieben wurde. Fast alle diese Protokolle sind noch vorhanden.
Die Punkte bezogen sich auf die Kirche samt Inventar, auf Friedhof, Kapellen,
Armenhäuser und Krankenhäuser, auf Geistliche, Küster, Lehrer und Hebammen, auf
Gottesdienst, Religionsunterricht, Sakramentesspendung und Kirchenbücher, auf
Kirchengüter und Einkommen des Pfarrers und der Vikare. Die Kirchen- und Armenprovisoren
mussten an der Visitation teilnehmen.
Das
Datum des jeweiligen Sendgerichts wurde
an zwei aufeinander folgenden Sonntagen von der Kanzel verkündet. Das
Gerichtsverfahren begann mit einem feierlichen Hochamt sonntagmorgens meistens um 7.30 Uhr, und beim anschließenden
Beginn mussten alle Pfarrangehörigen in der Kirche versammelt sein. Abwesenheit
wurde bestraft, und zwar - wie in folgendem Text ersichtlich - mit 3
Maltern Hafer [=12 Scheffel, ungefähr 300 l]. Anklage wurde vom Pfarrer oder
den Aydtschwörern (auch Eidtschwerern) erhoben. Verhandelt wurden alle
möglichen Verfehlungen gegen Sitte und Kirchengebote wie Tanz und Feiern in der
geschlossenen Zeit, Trinkgelage, uneheliche Geburten, Ehestreit und vieles mehr. Die Aydtschörer waren vereidigte
Bürger aus der Gemeinde, die das dörfliche Leben zwischen den Synoden zu
überwachen hatten.
Als
Beispiel hier eine Ankündigung des Besuchs des Archdiakons in Herbern 1727 zur
Verkündigung von der Kanzel [publicandum] und zum Aushang.
„Demnach
der heilige Send an künftigen Samstag soll gehalten werden durch den
hochwürdigen Herrn Archdiaconus hieselbst, so wird hiemit anbefohlen allen und
jeden, dass sie unter Straeft von 3 molt haberen in dieser Kirchen um Klock
halb acht des morgens sich einfinden, welche dazu verbindlich seynd, auch den
Send=haberen und sonsten andere gebühr müssen einbringenn, die Aydtschwörer auch die excessen deren
darüber sie gestellt herauf sagen, sie nicht weniger die Kirchen und Armen
provisores ihre rechnungen Ihnen und justifiziiren“.
[Sinngemäß: Durch den Archdiakon soll der heilige
Send nächsten Samstag hier abgehalten werden. Daher wird allen, die erscheinen
müssen unter Strafe von 3 Maltern Hafer befohlen, morgens um halb acht in der
Kirche zu erscheinen. Der Sendhafer und
die Gebühren aus früheren Verhandlungen müssen abgeliefert werden. Die Aydtschwörer
sollen die Verfehlungen der Leute, die sie überwachen, in Bezug auf Kirche, Armenversorgung
und ihre finanziellen Rückstände vortragen.]
„In deme nun auch ehemalen auch im letzt gehaltenen Send gefohlen worden die leichwege und Kirchenwege zu befessenen, so were zu rathen, dass nun die Lehemme wenigstens im Dorff noch in diese Wochen verbesserte“.
[Sinngemäß:
Beim letzten abgehaltenen Send wurde befohlen, die Friedhofswege und die
Kirchwege zu befestigen, was nicht geschehen ist. Daher wird dringend empfohlen, wenigstens im
Dorf diese Woche noch die Reparatur durchzuführen]
„Die gebühr müssen vom
hiesigen geistlichen, exempelweiß begräbnichs und jahresgebetts gelder stehen
von etlichen ad 5. ad 6. jahren zurück, wie auch das geringe schulgeldt vor
dem Schulmeister, welches alles doch zu
zahlen ehemalen synodaliter befohlen, wer sich nun vor Schaden hüten will, kann
in dieser wochen vor dem Send sich mit der Zahlung einstellen.“
In
dieser Ankündigung des „heiligen Sends“ ist grundsätzlich schon alles
enthalten, was ein Sendgericht ausmacht: Da wird die Anwesenheit aller um halb
acht unter Strafe von 3 Maltern Hafer befohlen, die Aydtschörer werden ermahnt,
alle Verfehlungen anzuzeigen, rückständige Abgaben für die Kirche und das Armenwesen
werden angemahnt und auf die Urteile des letzten Sends wird hingewiesen. Die
Kirchwege sollten ausgebessert werden, was bis dahin wohl noch nicht geschehen
war, und es wird befohlen, dass in der laufenden Woche wenigstens im Dorf die
Wege ausgebessert werden. Dann sind da noch die Rückstände über 5...6 Jahre an
Gebühren für die Geistlichkeit und an Schulgeld, die zu zahlen in der laufenden
Woche befohlen wird.
Zunächst
werfen wir einen Blick auf das religiöse Leben vor und nach dem großen Krieg in
unserem Bistum. Im 16. Jahrhundert sympathisierte Münster
und das Münsterland mit dem Protestantismus oder war ihm ergeben. So errang die
lutherische Partei am 03. März 1533 einen überwältigenden Sieg. Interessant ist
auch, dass im sogenannten Dülmener Vertrag vom Februar 1533 der Münsteraner
Bischof Franz von Waldeck die Reformation in den Pfarrkirchen akzeptierte.
Allerdings führte er 1535 nach der Niederschlagung der Wiedertäuferbewegung den
Katholizismus wieder ein. Die Protestanten stützten sich als Minderheit in der
Bevölkerung auf die hochangesehene Mittelschicht der Handwerker und Kaufleute,
weniger auf die Landwirte und Tagelöhner. Die Bischöfe der Stadt waren
weitgehend dem katholischen Glauben entfremdet und standen der Reformation
teils offen, teils verdeckt positiv gegenüber. Trotz intensiver
Rekatholisierung durch die Jesuiten in Zusammenarbeit mit dem Bischof ergebenen
Klerus und getreuen Katholiken ab 1588 war das evangelische Gedankengut noch
lebendig. Die Jesuiten waren in Münster und den größeren Orten des Münsterlandes
mit großem, dauerhaftem Erfolg aktiv.
Wie aber die Visitationsberichte aussagen, waren Spuren der Reformation
noch lange in den Köpfen der Leute vorhanden. Fast alle deutschsprachigen
Bibeln stammten von Luther, ebenso waren viele der Schulbücher, soweit es
welche gab, mit protestantischem Gedankengut durchsetzt. Selbst in dem
Schulunterricht wurde protestantisches Gedankengut verbreitet, da die Lehrer,
die vorher evangelisch gewesen waren, jetzt katholisch wurden, um die Stelle zu
behalten. Häufig war der Katechismus der evangelische. Die Jesuiten in Münster
hatten dort und andernorts an wichtigen Schulen zwar konsequent die Lehrer
ausgewechselt, aber in den kleinen Gemeinden war man da nicht so genau. Ob der
Küster Protestant oder Katholik war, interessierte kaum jemanden. Wichtig war,
dass er einige lateinische Choräle singen und dass er dem Pfarrer zur Hand
gehen konnte. Zudem war das Leben der Küster und Lehrer ärmlich und
entbehrungsreich. Pfarrer, die der evangelischen Lehre zugeneigt waren, ließen
sich häufig einen Bart wachsen und behielten ihn, auch wenn sie katholische
Gemeinden führten. Bei der katholischen Kirchenaufsicht aber war der Bart aus
hygienischen Gründen äußerst unerwünscht, da er bei Messhandlung in den Kelch
hängen konnte.
Auch
darf man nicht vergessen, dass die Kenntnisse in katholischer Religionslehre
überaus schwach waren. Zwar wurde in den Schulen, soweit welche vorhanden waren
und auch betrieben wurden, überwiegend Religion gelehrt, aber die praktizierte
Religion war mit dem heutigen Verständnis nicht zu vergleichen. Da die Umgangssprache
Plattdeutsch war, die Schulsprache aber das Hochdeutsch (Luthers), das sich
seit dem 16. Jahrhundert als Amtssprache durchgesetzt hatte, waren besondere
Lehrtechniken in der Schule notwendig. Ferdinand von Bayern, Bischof in Münster
von 1612 bis 1650 und Fürstbischof zu Köln, gab 1613 einen Katechismus in Druck,
der in deutscher Sprache verfasst war und im Wesentlichen aus Merksätzen bestand.
Nach dem Frage- und .Antwortsystem gab es Sätze wie diese:
„Frog. Wat glovens bistu?
Ick bin eyn Rechtgelovig Christ!
Frog. Wem sall man vor eynem Rechgeloevigen Christen halden?
Densoelvigen, so na empfandener
Döpe, gelovet, wat de alde Catholisch Römische kercke gelovet.“
[Frage: Was glaubst du? Antwort: Ich bin ein
rechtgläubiger Christ!
Frage: Wen soll man für einen
rechtgläubigen Christen halten? Antwort: Denjenigen, der nach empfangener Taufe
glaubt, was die alte römisch katholische Kirche glaubt; d.Verf.]
Ob die Lehrer sich einen solchen
Katechismus leisten konnten, bleibt dahingestellt. Bücher waren sehr teuer und
blieben für die meisten Lehrer unerschwinglich.
Wie
erlebte man als Kind die Welt und wie lebte man als Erwachsener in dieser dörflichen
Welt? Es war eine bäuerlich geprägte Umwelt, in der die größten verfügbaren
Kräfte die eines Pferdes und die Wasserkraft von der „Brügger Mühle“ waren. Die
schnellste Reisegeschwindigkeit war die eines galoppierenden Pferdes. Die Natur
hatte viele Gesichter und griff hart in die Landwirtschaft ein, so wie das
Wetter die Ergebnisse der Arbeit mitbestimmte, eine harte Arbeit, die dem
Jahresrhythmus angepasst war. Als Kind lernte man sehr schnell die
Abhängigkeiten erkennen und fand sich früh mit Aufgaben bepackt im System
wieder. Die religiöse Erziehung wurde im Elternhaus geleistet, wo meistens drei
Generationen unter einem Dach sehr eng zusammen wohnten. Da auch die Landschaft
prägend auf die Menschen einwirkte und das feuchte Münsterland mit seinen
grundlosen Wegen großes Reisen verhinderte, bildeten sich Geschichten und Sagen
heraus, die von Generation zu Generation in der Familie, Nachbarschaft und
Dorfgemeinschaft weitergegeben wurden. Hexenglauben, Spuk- und
Heiligengeschichten färbten so zwangsläufig die religiöse Überzeugung. Nur zum
Teil prägend für das religiöse Leben waren die Geistlichkeit und die ihnen
unterstellten Lehrer.
Hohe
Sterblichkeit in jedem Lebensalter, Seuchen, Hungersnot und Drangsal durch
Soldaten schufen eine Lebenshaltung, die den Tod täglich erwartete. Trotzdem
bildete sich eine pralle Lebensfreude mit den sinnlichen Genüssen des Barocks
heraus. Keiner in Westfalen spiegelt so sehr in seinen Werken den Geist der
Zeit wieder wie der Architekt Konrad Schlaun3. Man lebte in dem
Korsett des Absolutismus und hatte sich eingerichtet. Kirchensteuern gab es
noch nicht, anstelle dessen standen die jährlichen Abgaben an den Pfarrer, das
sog. „Messkorn“, das die Bauern und ein Teil der Dorfbewohner zu entrichten
hatten. Die örtliche Kirche mit dem gesamten Umfeld wurde von der Gemeinde und
dem örtlichen Adel unterhalten, und zwar durch Schenkungen, Stiftungen oder
Immobilien, deren Zinserträge der Kirche oder dem Pfarrer, zum Teil
zweckgebunden, direkt zuflossen. Die Versorgung des täglichen Bedarfs geschah
durch den eigenen Garten und die Landwirtschaft. Dazu kamen die sogenannten
Stolgebühren, die Kosten für die Verrichtung geistlicher Handlungen. Eine genaue
Aufstellung über die Einkünfte der Pfarrei erfolgt später beispielhaft in einem
Visitationsbericht des Archdiakons. Hier sei noch einmal hingewiesen auf den
Nachlass4 des aus Herbern stammenden Pfarrers von Ottenstein,
Pfarrer Johann Bernard Spahn, um 1708 in Herbern geboren. Durch die Aufstellung
und Bewertung der Güter wird beispielhaft klar, dass der Stand des Pfarrers im
18 Jahrhundert ein durchaus wohlhabendes Leben ermöglichte.
Heute
kann sich keiner mehr vorstellen, wie mühsam und beschwerlich Transport und
Reisen im gesamten Münsterland waren. Über
die Zustände der Wege im Münsterland, wie sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
vorwiegend waren, hat Fabio Chigi, der Moderator des „Westfälischen Friedens“,
in einer Reisebeschreibung in lateinischer Sprache und in Form eines Hexameters
viel berichtet. Fabio Chigi war ab 1650 Papst Alexander VII. und hat die
Gestaltung des Petersplatzes in Rom veranlasst.
Der
angeführte Bericht ist eine Beschreibung des Weges von Münster bis Lüdinghausen,
den er am 13 .Dezember 1649 nahm:
“Wir kamen zügig voran – außer dort, wo unsere
Wagen von Schlaglöchern, deren Tiefe man nicht erkennen konnte, und von
morastigem Boden behindert wurden. Einmal musste ich mit ansehen, wie eine
Brücke, die eigentlich einen recht stabilen Eindruck machte, in sich
zusammenbrach und einen schweren Lastwagen mit Kleidern und Büchern ins Wasser
riss! Mit vereinten Kräften richteten meine Männer den Wagen wieder auf, aber
bald schon saß er wieder im Schlamm fest. Selbst 12 Pferde schafften es
schließlich nur unter größter Anstrengung, ihn herauszuziehen. Als die Sonne
bereits unterging, hatten wir daher zum Einen noch die Hälfte des Weges vor
uns, zum Zweiten ein schweres Hindernis, gegen das das bisher Erlebte geradezu
harmlos war: Weit und breit war alles hoffnungslos überschwemmt. Und da man die
Wege schon lange nicht mehr mit Hacken bearbeitet hatte, war es einerseits fast
unmöglich, sich mit dem Wagen vorwärts zu bewegen, aber anderseits war das
Wasser doch zu niedrig, um Kähne zu benutzen....Am späten Abend – der Mond war
schon aufgegangen, nahm er (ein Domherr aus Münster) uns in Lüdinghausen auf.“5
Wenn
man sich den Weg vor Augen führt, den Fabio Chigi genommen hatte, so sind das
ca. 25 km. Der Streckenverlauf wird der Kappenberger Damm von Münster aus
gewesen sein, weiter verlaufend über die Viehstrasse zwischen Senden und Ottmarsbocholt
und dann nach Lüdinghausen. Er passierte die feuchte Davert und das Venner Moor
und erlebte dann sicherlich hautnah ein Steverhochwasser.
Nicht
unerwähnt bleiben sollte die Zeit der Hexenverfolgung,
die im Münsterland im 16. Jahrhundert besonders arg wütete und im 17.
Jahrhundert noch nicht vorbei war, aber den Höhepunkt überschritten hatte und
im frühen 18. Jahrhundert vollständig beendet war. In Gerichtsverfahren waren
„peinliche Verhöre“ (Folter) noch möglich, die Strafen waren oft hart und für
unser Verständnis unmenschlich. Todesurteile wurden auch in Herbern
vollstreckt, wozu ein Galgen an verschiedenen Orten aufgebaut wurde. Dies läst
sich vielfach belegen durch dokumentierte Ausgaben über den Transport der
Galgenleiter: „Für Her- und Hintragung der Galgenleiter
von Fronings Hoff bei Justifizirung von Zigeunern 4 Thlr 14 Schill“ oder „behufs der am 2.
Mai uffgerichteten Galgenleiter, da der Haarfeld gehangen, 1 Thlr., 14 Sch., 1 Pfg.“
in den Jahren 1726 und 1731. 6
Wie
das Leben der Gemeinde in der Glaubensgemeinschaft unseres Dorfes sich abspielte,
soll im Folgenden rund um die Pfarrer in ihrer Zeit anhand vorhandener Dokumente
dargestellt werden. Dabei handelt es sich um folgende Geistliche:
1600
– 1614 Henricus Mühler
1618
– 1663 Theodor Schöttler
1663
– 1703 Petrus Wegmann
1703
– 1718 Henricus Speckmann
1718
– 1750 Bernard Diedrich Nagel
1750
– 1778 Theodor Hinrich Schwerbrock
1779
– 1807 Franz Joseph Jochmaring
Pastor
Henricus Mühler war der erste Pastor, der dauernd in Herbern wohnte und
erstmals „Verus Pastor in Herberen“ genannt wurde. Die Person, die uns in den wenigen
Dokumenten entgegentritt, charakterisiert ihn als Kind der Zeit, in der der Bischof
durch regelmäßige Kontrollen die katholische Religion festigen und das Wirken
der Pfarrer wieder auf Seelsorge und Lehre ausrichten will. Besonderes
Augenmerk wird auf den Zölibat gelegt, da es nicht ungewöhnlich war, dass der
Pfarrer eine Frau an seiner Seite hatte. In den Protokollen des kirchlichen
Senats von 1601 – 1613 steht unter anderem:
„Hermano Muluar pastor in Herberen respondit in vim juramenti alias praestiti
ut sequitur.......“
[Hermann
Mühler, Pastor in Herbern, antwortete, durch Kraft des Eides offen gelegt, wie
folgt:
Er
verwalte die Sakramente im katholischen Sinne, er lehre seine Leute in Glaube
und Hoffnung, er habe Arbeit über Arbeit, er spende sehr häufig die Krankensalbung,
er sei Pastor in Oer gewesen, das zum Bistum Köln gehörte, er habe in der Gemeinde
3 Ketzer, die Juden seien...er führe das Tauf- und Eheregister, er lehre den
Katechismus manchmal nach dem Mittagsessen, manchmal zu Beginn des letzten Tagesdrittel,
er habe ein Herbarium, welches im Hause des Doktors der Medizin sei, wonach, so
habe er gesagt, bereite er Medizin, die irgendwelche Dämonen vertreibe; er habe
keine Konkubine.
Die
Herren sind gegangen mit der Empfehlung, dass er im Zölibat verbleibe und dass
er den Katechismus lehre und auslege.
Der
Pastor vom Lüdinghausen sei ihm zur Kontrolle zugeteilt, er werde zum ersten
Monat wieder vorgeladen.] 7
Wie
mag es zur Zeit dieses Pastors in Herbern ausgesehen haben. Die Quellen dazu
sind sehr dürftig. Der 30jährige Krieg hat fast alle Dokumente zerstört. Übrig
gebliebene Reste sind schon mehrfach untersucht und beschrieben worden. Das ein
oder andere Haus, so wie wir es heute kennen, hat in seinen Grundzügen schon
bestanden. So wissen wir mit Sicherheit, dass das „Schüttwäller“8
Haus in seinem Kern schon existierte: Ein Querbalken im östlichen mittleren
Fachwerk neben der Haustür weist das Zimmermannszeichen mit der Jahreszahl 1579
auf.
Der
Dorfbach, der noch offen durch das ganze Dorf floss, diente auch als Abwasserkanal.
Man darf allerdings nicht das Abwasser von heute mit dem damaligen vergleichen.
Fäkalien von Menschen und Tieren wurden in Jauchegruben gesammelt und
überwiegend im Frühjahr als Dünger genutzt. Man verbrauchte wenig Wasser, das
aus den Brunnen geschöpft werden musste. Strassen und Wege waren weder ausgebaut
noch befestigt. Bei Regen muss es sehr schlammig und dreckig im Dorf gewesen
sein und im Sommer sehr staubig. Der Dorfmittelpunkt war der Kirchhof
(Friedhof) mit der Kirche. Nach neuesten Untersuchungen von Jan Brademann und Werner Freitag9
war in unserer Gegend der Kirchhof der zentrale Punkt im Dorfleben in allen
seinen Erscheinungsformen.
Das
16. Jahrhundert war für die Menschen mühselig, hart und voller Not. Nicht
allein die Glaubensspaltung belastete die Menschen im Bistum, weitaus schlimmer
waren die Befreiungskriege der Niederländer in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts (ab 1585), die sich zum Teil im Münsterland abspielten.
Abwechselnd plünderten Spanier und Holländer unsere Dörfer und hinterließen Tod
und Elend. Die Spanier gaben vor, die Katholiken zu schützen und die
Niederländer die Protestanten. Seit dieser Zeit wurden die Niederländer äußerst
reserviert vom Münsterländer betrachtet. Zudem wütete die Pest. Hinzu kam die
Hexenverfolgung, die in dieser Zeit ihren Höhepunkt erreichte und auch in
unserem Dorf viel Unheil anrichtete. Es sollte aber noch unendlich viel
schlimmer kommen.
musste
während seiner Amtszeit die Schreckenszeit des 30-jährigen Krieges miterleben,
geprägt von Verwüstung, Plünderung, Hunger und Tod in vielerlei Gestalten, vor
allem aber auch die Pest, die in Herbern über 1700 Menschen dahinraffte.10
Im
Jahre 1653, noch vor dem Neubau des Schlosses Westerwinkel in den Jahren von
1663 bis 1668, erhielt Theodor Hermann von Merveldt die Erlaubnis, auf seinem
Schloss die Messe lesen zu lassen. Dieses Dokument ist eines der ältesten im
Pfarrarchiv unserer Gemeinde. In Auszügen lautet es:
„Praenobile ac streno viro
Dno Theodoro Hermano à Merveld , satrapie Wolbergensi, ut in arce sua
Westerwinkell, loco decenti debite ornato atque in hunc usum segregato…ibidem
celebratem, sacrum missum officium, cum
familia, audire possit, authoritate ordinaria licentium data esse, praesentibus
manu mea ...attestor usque ad revocationem duratura.
Monasterii 1653 die 24
martii“
[Dem
hochgeehrten und tatkräftigen Herrn Hermann Theodor vom Merveldt, Droste zu
Wolbeck, wird erlaubt, auf seinem Schloss Westerwinkel mit seiner Familie die
Messe zu hören. Für diese Handlung ist der Ort geziemend und passend ausgestattet.
Diese Genehmigung wurde durch die Autorität des zuständigen Bischofs gegeben
und durch meine Unterschrift bis zum Widerruf bestätigt.]
Wenn
man das Dokument genau betrachtet, so stellt man fest, dass die Genehmigung für
die Familie und das ganze Haus Westerwinkel galt, nicht aber für die Bevölkerung
Herberns. Eine ähnliche Genehmigung für das Schloss Itlingen gab im 19.
Jahrhundert den Anlass zu einem heftigen Streit, der an anderer Stelle behandelt
wird.
Pastor
Wegmann wurde in Werl geboren. Er studierte in Münster drei Jahre Theologie und
wurde in Ahlen mit dem Titel eines Vikars ordiniert. Dann war er einige Zeit
Kaplan in Ascheberg und wurde unter dem Generalvikar Vagedes in Herbern als Pfarrer
eingesetzt. Er hatte alle Prüfungen bestanden und besaß die erforderlichen
Zeugnisse. Pastorale Unterstützung erhielt er von Scholastikern aus Münster und
von den Kapuzinern in Werne. Erst ab
1667 wurde ihm als Helfer der Kaplan
Henricus Pininck zugeteilt. Die Pfarre in Herbern wurde ihm am Sonntag vor dem
Fest der hl. Margaretha 1663 übergeben.
Abbildung 2
(links: Protokoll des Archidiakons; rechts: Das "Vagedes" Dokument
In dem
Visitationsbericht vom 9. Nov. 1663, aus dem auch die vorgenannten Angaben
stammen, heißt es weiter sinngemäß: “Das Haus des Pastors ist eine Ruine, ein
Archiv gibt es nicht, Kirchenbücher über Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle,
die früher fehlten, sind jetzt wieder in Ordnung. Das Kirchengebäude ist baufällig
und kann jederzeit einstürzen. Der Hochaltar ist beschädigt, aber der Taufstein
ist in gutem Zustand. Die Glocken sind aus dem Turm ausgebaut worden und hängen
an einem Gerüst auf dem Friedhof. Die Taufe der Kinder findet vorübergehend in
der Kirche des Hauses Itlingen oder auf
Schloss Westerwinkel statt und wird von den Hauskaplänen durchgeführt. Die jährliche Prozession findet am Fest des
Patrons Benedikt statt. – Die fünf Hebammen sind nicht geprüft, aber
ausgebildet. Heiratswillige werden nicht unterrichtet, es gibt aber auch keine
Mischehen. Heinrich Lunenkamp läutet zuverlässig die Glocken und erhält dafür
von einem bestimmten Kolonen 2 Malter Roggen. Lehrer ist der 60 jährige Georg Kaldenkirchen,
der gut unterrichtet. Früher war er Notar in Werne. Eingesetzt wurde er vom
Pastor und vom Baron Nagel. Alle Einwohner sind jetzt katholisch, in den
letzten drei Jahren sind fünf Personen konvertiert.“
Der
Zustand des Kirchengebäudes muss katastrophal gewesen sein, denn der Pfarrer
hat sich mit seiner neuen Pfarrgemeinde Ascheberg angeschlossen („Pastor in Herberen comparuit in Ascheberg cum suis
Parochales“), vermutlich für die Zeit der
Baumaßnahme.
Das
Pfarrarchiv gibt für diese Zeit wiederum wenig her. Die eine oder andere Notiz
ist aber sehr interessant. So notiert der Pfarrer:
“Cordt Jürgens sol: die Kirchenplatze von allen seinen
Unrath....(?) dass er das Haus aufn Kirchhoff bewohnt, und public nicht
schuldig“ [Kurt Jürgens soll den Kirchplatz
sauber halten. Dafür bewohnt er ein Haus auf dem Kirchhof.]
In
den 40 Jahren seines Wirkens hat Pastor Wegmann außerordentlich viel geleistet.
Seine Aufgabe war, aus der geschundenen und heruntergekommenen Gemeinde wieder
eine lebendige Gemeinschaft zu formen, was ihm offensichtlich gelungen ist.
Handwerk, Handel und Wandel
normalisierten sich und erlebten wieder erste Höhepunkte. Man braucht
sich nur das Schloss Westerwinkel anzusehen, um zu erkennen, dass das Handwerk
wieder erstarkt war. Der Pastor selbst muss sehr bescheiden gelebt haben, weil
er einen erheblichen Betrag von seinem eigenen Geld in die Ausstattung des
Kirchengebäudes steckte. Der tatkräftige Mann war maßgeblich am Neubau der
Pfarrkirche St. Benedikt beteiligt, spendierte ihr sogar 200 Taler für die
Anschaffung einer Orgel, eine für diese Zeit gewaltige Summe,. Unter seiner
Federführung wurden auch der Hochaltar, die Kanzel und die Bänke angeschafft.
(Sind heute alle nicht mehr vorhanden und bei den großen Renovierungen des 19. Jahrhunderts
ersetzt worden). Zusammen mit den Herren von Ichterloh gründete er die Vikarie
bzw. Kaplanei11 im Jahre 1667, indem jeder 500 Taler spendete.12
Zu
seiner Zeit litt man noch überall an den Folgen des schrecklichen Krieges und
man wurde bald schon wieder durch die Aktivitäten des Bischofs Bernard von
Galen (Bomben Bänd) mit den Lasten eines neuen Krieges beladen. Der Hexenwahn
ging seit 1650 langsam zurück, die Geißel der Pest blieb noch einige Jahre.
sorgte
dafür, dass die Pfarrkirche 1708 eine Turmspitze erhielt. Die Kosten in Höhe
von 206 Talern wurden durch Kollekten, auch in den Nachbargemeinden, aufgebracht.
Er gilt als der Begründer der „Todesangstbruderschaft“. (Dazu gibt es eine Mitgliederliste, die heute noch in
St. Benedikt existiert.)
Anfang
des 18. Jahrhunderts zur Zeiten der Pastöre Speckmann und Nagel befasst sich
der Archdiakon mit der Ferienordnung im Dorfe. Es war allgemein üblich, dass
die Kinder im Sommer gar nicht oder nur sporadisch zur Schule geschickt wurden,
da sie für die Ernte gebraucht wurden. Nach der Aussage des vorliegenden Dokumentes
aber waren Ferien nur im Herbst vorgesehen. Das wird mit der Verordnung geändert:
„Demnach öffentlich publizirt worden dass die schulkinder
ihre vacantion und ferien nicht im Herbst sondern wehren der Erndtzeit haben
und genießen sollten und dann von den Pastores zu Herberen muß glaubhaft
berichtet werden, als obmeldte vacatien nuhr 14 tags sich erstrecken sollten,
als haben wir unser derosolch ausgelassenes Mondatum in so weit limittirt ,dass
aus ange... ursachen bemelte herbst ferien ad 14 tags in tanti zu
belassen......... dergestalt noch dass das ganze jahr hindurch abgeltermarßen
die kinder die schule frequentirn auch der pastor loci so wohl als Schulmeister
erenstlich zu befordern haben dass obiges alles von jedermannigliches
nachgelebt und eingefolget werde....“
[Sinngemäß:
Die Schulferien sollen nicht mehr im Herbst, sondern zur Erntezeit gewährt
werden, und zwar 14 Tage. Wenn auch im Herbst Ferien gewünscht werden, so sind
auch dann 14 Tage zu genehmigen. Ansonsten hat der jeweilige Pfarrer und
Schulmeister dafür zu sorgen, dass die Kinder, für die Schulgeld bezahlt wird,
die Schule besuchen. Darüber ist zu berichten.
Bernard
Diedrich Nagel wurde am 7. 4. 1676 in Ahlen geboren. Ahlen war zu dieser Zeit
schon vollständig durch die Aktivitäten der Jesuiten aus der Zentrale Münster und der kleinen Niederlassung
Warendorf zum katholischen Glauben zurückgeführt worden. Vermutlich hat er
seine schulische Ausbildung an einer der guten, von Jesuiten geführten Schulen,
erhalten und seine Ausbildung zum Priester in der auch von Jesuiten straff und modern
geführten theologischen Fakultät in Münster genossen. Die Pfarrstelle in
Herbern muss nicht begehrenswert gewesen sein, denn die beschriebenen Zustände
in den Visitationsprotokollen sind alles andere als schmeichelhaft. Nagel hat
aber sehr viel geleistet und bei seinem Tod geordnete Verhältnisse
hinterlassen. In seinem mehrfach geänderten und ergänzten Testament hinterlässt
er unter anderem einen Betrag von 50 Talern für die Anzahlung einer Feuerspritze
und eines Wasserfasses. Auslöser für diese Donation waren vermutlich die
verheerenden Brände, die während seiner Amtszeit seine Pfarrei heimgesucht hatten.
Dadurch, dass die Bebauung sehr eng war und die Häuser überwiegend mit Stroh
oder Schindeln gedeckt waren, wüteten
Brände als eine immer wiederkehrende Geißel, die ganze Ortschaften in Asche legen
konnte. In seinem Testament heißt es
unter anderem:
„Obgenante 50 Kreuztaler sollen sein zur
feuersprütze wie... notirt...ich hoffe die auf pastorats gründen und im dorf
Herberen wohnende werden... gerne dafür geben, weil es ihr vorteil mit ist so
wohl als der übrigen.“ [Obengenannte 50
Kreuztaler sollen wie notiert für eine Feuerspritze sein und ich hoffe, dass
die Dorfbewohner gern mehr dazu geben, weil es ihr Vorteil ist…]. In einem
weiteren Punkt bedenkt er nochmals die Feuerspritze.
.“..oder zum sehr nützlichen Zweck einer machendem feuer
sprütze anwenden wolle, was ihr gute freunde und Nachbarn, fünf hierzu resolviren
wollet, und dass dieße fünfzig Taler zur feuer sprütze geben, so gebe ich aus
meinen mittelen zur sprütze annoch 10 Taler, inständig ersuchend die gnädigen
gutsherren und anderen wohltäter in und außerhalb Dorfs wohnende umb endlich
daran zu seyn, damit das übrige zur pumpe als auch pumpenfaß geschwind
verfertigt werde.“
[Sinngemäß:...wenn
sich 5 gute Freunde und Nachbarn entschließen sollten, 50 Taler für eine
Feuerspritze zu geben, so gebe auch ich zusätzlich 10 Taler, wobei ich die
gnädigen Gutsherren und die anderen Wohltäter im Dorf und außerhalb des Dorfes
inständig ersuche, den Rest dazuzugeben. So können Pumpe mit Zubehör und
Pumpenfass bald gefertigt werden].
Pfarrer Nagel hat nicht nur an die Brandbekämpfung
mit physischen Mitteln geglaubt; er hat auch zur Brandvermeidung den
himmlischen Beistand empfohlen und dazu die Brandprozession zum wundertätigen
Bild der Gottesmutter zu Altlünen ins Leben gerufen.
Dass zu Zeiten Pastor Nagels die Hexenverfolgung
vorbei war und auch nicht mehr die Köpfe der Obrigkeit beschäftigte, zeigt
nachfolgendes Dokument. Die Verwaltung geht darin mit allen Mitteln gegen eine
Frau Maria Funcke vor, die sich in Herbern aufhalten und ihren Lebensunterhalt
durch Wahrsagen und Sehen verdient haben soll. Eine Generation vorher wäre sie
vielleicht noch als Hexe angeklagt worden, so aber sollte ihr die Lebensgrundlage
entzogen werden. Was vor 30 Jahren noch Hexerei hieß, nannte man nun Aberglauben.
Der Archdiakon schrieb dem Pastor zur Publizierung von der Kanzel:
„Nachdem man leyder vernommen, dass aldorten zu Herberen
sich ein frauensperson mit Namen Maria Funcke sich aufhalte, welche Geister
sehn zu können sich ausgibt, und sonsten mit Wicke [Wahrsagen] und andern
abergläubischen Sachen denen Leuten was vorschwätzet, und dabei
sich...wiederump...gegen publizierter Verordnung...erhoben.
Als wird dadurch allen und jedem bey 25 goldgülden straf...anbefohlen... sich gänzlich zu enthalten...auch diese Person kein aufenthalt oder obtach in ihren Häusern zu gestatten noch zu geben“
Dazu notiert der Pastor auf Latein: Durch mich, B.
Th. Nagel, Pastor in Herberen 1745 von der Kanzel verkündet.
Pastor Nagel hinterließ weiter eine Fülle an
Dokumenten, die das dörfliche Leben in seiner Amtszeit in ein lebendiges Licht
rücken. Alles Erdenkliche notierte er, besonders Vorfälle in der Gemeinde, die
ihm nicht passten und die er vermutlich dem Sendgericht vortrug. Da Papier in
jener Zeit kostspielig war, beschrieb er
jedes freie Stückchen. Wenn die Niederschrift in deutscher Sprache nicht
nachhaltig genug war, (oder wenn ihm die deutschen Worte zu obszön waren)
wählte er das Lateinische.
Außerdem ließ er „auf dem Weg vom Dorf zum
´Eickschlot` einen Stationsweg mit sieben Stationen errichten“, 13 der dazu geeignet war, einen Ablass zu erhalten.
Der
„Große Krieg“, wie der 30-jährige genannt wurde, lag über zwei Generationen
zurück und war vergessen. Handel und Wandel und im Besonderen das Handwerk
erlebten eine neue Blüte. Alle Hofstellen, die durch Kriegsfolgen und
Pestseuche „wüst“ waren, hatten wieder Bewohner gefunden. Julius Schwieters
nennt die Zeit des Pastors Nagel zum Teil „eine wohlfeile Zeit“. Zu Beginn
seiner Amtszeit sah es noch anders aus: Durch Epidemien hatte die
Dorfbevölkerung stark zu leiden und 1712 erreichte die Kindersterblichkeit
einen Höhepunkt. Aus diesem Grund hat er wahrscheinlich in Herbern
die „Pestmesse“ eingeführt. Die Straßen und Wege waren wie fast überall
in einem schlechten Zustand, um nicht zu sagen katastrophalen. Immer wieder ist
in den Archiven zu lesen, dass die Wege verbessert werden müssten und dass der
Dorfbach „die Welle“ gereinigt werden müsse. Auf Druck des Hauses Itlingen
verkündete der Pfarrer den Termin von der Kanzel und der Läuteküster zeigte den
Beginn der Arbeiten durch Läuten der Glocken an.6
Trotz
vieler widriger Umstände hat es in der Bevölkerung nicht an Lebensfreude gefehlt.
Man wurde nicht unterhalten, man machte den Spaß selbst, oft zum Leidwesen des
Pastors. Wenn der Pastor notiert:
„1741
in Junio bey Spahn auffm feldt 6 mägde die pflug gezogen, posten 1 tonne biers an der bruggermolle gesoffen. Dicant
quinam fuerint arantes. Spahn veniat et dicat quinam“ [Im Juni 1741 haben bei Spahn auf dem Feld 6 Mägde einen
Pflug gezogen; Aufpasser standen an der Brügger Mühle und haben dabei 1 Tonne
Bier (ca. 75 l) gesoffen. Man sagt, es hätte einige Furchen gegeben. Spahn kam
und bestätigte einige]
Daran
kann man ermessen, welchen Spaß die Leute hatten. Musik und Tanz gehörten
damals wie heute zur Jugend mit ihrem Optimismus. Dass die damals gültigen
Grenzen immer wieder überschritten wurden, ist gut nachzuvollziehen. Dazu einige
Notizen:
1737
ipse
die pentecostes publice ante crucem saltarunt ad chelyn „die melcke mägde und
die pirgsten braut“ [Selbst am Pfingsttag hat
man öffentlich vor dem Kreuz zur Leier getanzt...]
mulies
Fritz Speckm. und Goswim Bohle dicent was für mägde und junge gesellen. [Die Frauen von Fritz Speckmann und Goswin Bohle sagten
aus, welche Mädchen und Junggesellen es waren.]
„1738
Lichtmess
war kaum vorbei....an Schnettkers und Dykhoffs den Krantz aufgehangen und
gewaltig geschossen.
Aschedag
an Riven haus den gantz nachmittag auf der violin gespielet und getantzt, eben
also an Schnetk und Dykhoffs haus.“ [Aschermittwoch
hat man bei Riven den ganzen Nachmittag auf der Violine gespielt und getanzt;
ebenso bei Schnettker und Dykhoff.]
Der
Küster, im witzigen Sprachgebrauch auch „Halbhochwürden“ genannt, war wie auch
in anderen Gemeinden, immer wieder eine kirchliche Person, an der man sich
reiben konnte. Dazu gibt es einige Eintragungen vom Pastor:
„d 31. Mai 1737
Frantz Moritz und Gerh. Allfors mitter nacht umb die Kirch gegangen und laute gesungen. der Schäffer zu das mägelein sprach auff dem felt in der Kält in tentarem. Der Küster nimbt fremde (?) frau im arm. Worauff die aller häßligsten wörter die man nicht sagen darff. Gesänge so hart sie haben ruffen können. Darnach geruffen ist der Köster todt, so wollen wir auf d. Viol. spielen, tantzen und springen.“
[Franz
Moritz und Gerhard Allfors sind mitternachts um die Kirche gegangen und haben
laut gesungen: Der Schäfer zu dem Mägdelein sprach, auf dem Feld, in der Kält’
im Zelt. Der Küster nimmt eine fremde Frau in den Arm. Sie haben so laut wie
sie konnten gesungen. Danach haben sie gerufen, dass sie beim Tod des Küsters
auf der Violine spielen und tanzen und springen wollen]
„Auf
laudate spielen Drei gesänge zum schimpff und spott deß Küsters.“
[Am
Sonntag Laudate wurden drei Gesänge zum Schimpf und Spott des Küsters gesungen.]
„Dirk bennemans junge aufm chor
dem Cüster bey die haar gezogen...
narret custos „
[Dirk Bennemanns Sohn hat auf dem
Chor den Küster an den Haaren gezogen...sagt der Küster]
„Auf laudate pueri
dominum gesungen zum Schimpf und Spott des Küsters“
Streitereien
und Vergehen in der Nachbarschaft, in der Familie oder sonst in der Gemeinde,
soweit sie unter die Zuständigkeit des Sendgerichts fallen, sind zuhauf
notiert, dazu einige Notizen:
„Krass uxor cum marito innocente
ante annu ingentes rixas creabat (?) et excludit lilum domo mittendo(?) ejus
vastas foras cum scandale cummunitatii“
[Vor
einem Jahr hat Frau Krass mit ihrem unschuldigen Gatten einen fürchterlichen
Streit begonnen und ihn mitten im Dorf
aus seinem eigenen Haus vor die Tür gesetzt, zum Skandal in der
Gemeinde.]
Dass
halbwüchsige Jungen vorlaut sind und ab und an Streiche oder Unsinn veranstalten,
passte dem Pfarrer überhaupt nicht. Ein Jahr vor seinem Tod noch, im Jahre 1749
veranlasste er den Archdiakon, eine Verordnung zu erlassen, dass der Lehrer und
der Küster für Disziplin bei den Jugendlichen zu sorgen hätten und im Bedarfsfalle
diese zu bestrafen hätten. Weiter heißt es in dem Dokument:
„auf gleiche arten soll es mit denen Jugen, welche auff dem Kirchhoff spielen, und mit Steinen und Schneeballen werfen auch flitzebogen schießen, die kirchfenster beschädigen und noch über das die Eltern zu ersetzung des dadurch verursachten Schadens schüldig erteilt werden.“
Auf
dem Kirchplatz ließ sich herrlich spielen, wobei manchmal eine Scheibe der Kirchenfenster
getroffen wurde. In den Berichten des Archdiakons wird wiederholt auf die
zerstörten Scheiben der Kirchenfenster hingewiesen.
Das
Verhältnis der Bevölkerung zur Obrigkeit, sprich Kirche oder Adel, ist sehr
selbstbewusst. Liest man das Geschehen um die Sendgerichte aufmerksam, so
stellt man fest, dass immer wieder die gleichen Punkte notiert werden. Man ist
bei den Abgaben rückständig, die Wege sind in schlechtem Zustand oder das Dorfleben
entspricht nicht den Moralvorstellungen und vieles mehr. Ein interessantes
Licht auf das Dorfleben, der alle diese Punkte berührt, wirft der
Visitationsbericht vom 17. August 1745,
der “wohlfeilen“ Zeit vor dem 7-jährigen Krieg, der hier in allen
Punkten wiedergegeben werden soll. Es ist anzunehmen, dass diese Verordnung auf
Anregung des Pfarrers erlassen worden ist, denn es werden in ihr alle
Begebenheiten im Dorf, die Pastor Nagel wiederholt beanstandet und für das
Sendgericht vorbereitet hat, abgedeckt.
„In visitatione Archdiaconali zu Herbern sind folgende Statuta gemacht:
Nachdem in vorhin gehaltenen Synoden bereits Verschiedenes zur Aufnahme der Religion und Besserung der Sitten dienlich und heilsamst verordnet, an itzo aber befunden, dass solche Verordnungen zur gebührenden Einfolge und Effekt noch nicht gebracht worden, als wird hiermit in gefolg oblauts angeführten Verordnungen nochmals verbotten“
[Nachdem
auf den bisher gehaltenen Synoden Verschiedenes zur Aufnahme der Religion und
zur Verbesserung der Sitten verordnet wurde, sich aber jetzt herausgestellt
hat, dass es wenig gefruchtet hat, wird hiermit nochmals verboten]
„Alles Fuselsaufen und Zapfen an Sonn- und Feiertagen unterm Gottesdienst, dergestalten, dass im Misshaltungsfall der Zäpfer in 5 Goldgulden, der Trinker hingegen in 2 Goldgulden ohnachlässiger Straff zum ersten mahl verfallen, zum zweiten Mahl die Straff verdoppelt, zum dritten Mahle aber auf Befinden zum Zuchthaus gebracht werden solle.“
[Jegliches
Schnapstrinken und Zapfen an Sonn- und Feiertagen während des Gottesdienstes;
bei Verstoß zahlt der Wirt 5 Goldgulden, der Gast 2. Im Wiederholungsfall
verdoppelt sich das Strafmaß, beim dritten Mal droht Zuchthaus (Gefängnis).]
„Gleichfalls
werden an Sonn- und Feier-Tagen unterm Gottesdienst, wie auch im Advent und
Fastenzeit in denen Wirtshäusern die Musik, und auch an solchen Tagen zur
Ungebühr eingeführte Hochzeiten und Kindertaufliche Mahlzeiten inhibirt“
[Verboten
ist weiterhin Musik in den Wirtshäusern an Sonn- und Feiertagen während des
Gottesdienstes, ebenso sind in der Advents- und Fastenzeit Hochzeiten oder
Feiern zur Kindtaufe verboten, die sich unrechtsmäßig eingebürgert haben.]
„Sollen
die Leichwege und Fußschewens in guten und ohnsträflichen Zustande ohne Anstand
gesetzet und darinnen nach Möglichkeit unterhalten werden, maßen denen die
Eidtschwerer, sobald sie erfahren, dass die Wege ohnstande geraten, wes Endes
sie dieselben besichtigen sollen, ein solches sie den Bawerrichten ahnmelden
sollen, welche dann bei Vermeidung von 25 Pfd Wachsstaff die dazu Pflichtigen
zur Besserung auf einen bestimmten Tag aufbotten, und ob sie zur Besserung
erscheinen, aussehens haben, und die Ausbleibenden oder sich weigernden namhaft
machen, und ob darob beim Archdiaconal-Protokoll binnen Münster, damit diese
zur gebührenden Straffe gezogen werden, berichten sollen. Auch sollen die
Fußschewens wenigstens anderthalb Fuß breit sein.“ [vom Pfarrer
hinzugefügt.]
[Sinngemäß:
Die Leichen- und Fußwege sollen in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt werden.
Die Aufpasser sollen den Zustand der Wege regelmäßig überprüfen und der
Verwaltung mitteilen, damit diese zur Ausbesserung an einem bestimmten Tag angehalten
werden können oder zur Bestrafung von 25 Pfund Wachs verurteilt werden
können...Auch sollen die Fußgängerbrücken 1 1/2 Fuß breit sein.]
Die
Fußschewens (plattdeutsch Schemm) waren Fußgängerbrücken, die meistens
einseitig ein Geländer hatten und für die Kirchwege oder Pättkes kurze Strecken
ermöglichten.
Man
muss sich klar machen, dass die Begräbnisstellen rund um die Kirche gelegen
waren und wenn hier von Fassgängerbrücken gesprochen wird, kann man annehmen,
dass der Friedhof mit einem Wassergraben umgeben war. Die Entwässerung des
Kirchendaches geschah oberflächlich in den Graben. Jeder Regenguss hinterließ
seine Spuren.
„Die Kinder sollen ohne unserer oder wenigstens des Pastors Erlaubnis zu keiner anderen, als der approbirten Kirchspielschule geschickt, und aus solcher ehender nicht, als sie bis auf Gutbefinden vorerwähnten Pastoris in Wissenschaft und Glaubenssachen genugsamb instruirt sein würden, genommen werden.“
[Die Kinder sollen ohne unsere Erlaubnis oder die
des Pastors auf keine andere Schule geschickt werden als auf die kirchliche,
dort auch nicht eher entlassen werden, bis dass sich der Pastor davon überzeugt
hat, dass sie in Wissenschafts- und Glaubenssachen genügend informiert worden
sind.]
„Küster und Schulmeister sollen wehrend des Gottesdienstes den Kirchhof sowohl, als die Wirts- und Fuselhäuser von Zeit zu Zeit visitiren; diejenigen, welche sich allda mit schwätzen und flahren aufhalten, ingleichen welche Fusel zapfen oder trinken, annotiren und uns zur Bestrafung bein künftigen Synodo einliefern“
[Der
Küster und der Schulmeister sollen während des Gottesdienstes den Kirchplatz
sowie die Wirtshäuser und Schänken kontrollieren und notieren, wer schwatzt und
flucht oder Alkohol ausschenkt oder trinkt, damit diese bei der nächsten Synode
bestraft werden.].
„Nicht
weniger sollen auch Küster und Schulmeister, einer umb den anderen, schuldig
sein, entweder vor, oder nach der christlichen Lehr die Namen der Parochianen abzulesen und die Abwesenden notiren.“
[Außerdem sind der Küster und der Schulmeister
verpflichtet, entweder vor oder nach der Christenlehre die Namen der Mitglieder
der Kirchengemeinde vorzulesen und die Abwesenden zu notieren.]
„Wo Kranke sich befinden, sollen solche, dem Ew. Pastor frühzeitig genug angemeldet werden, damit ohne die hl. Sakramente Niemand versterbe.
Ebenfalls sollen die Kinder zum zweiten oder höchstens zum dritten Tage zur heil. Taufe gebracht werden.
Beim nächsten Synodo wird wegen Abwesenheit oder Krankheit keine Entschuldigung mehr angenommen, es sei denn, dass dieses vorhin dem Ew. Pastor angemeldet, und dieses ein anderer attestiren [bescheinigen ] könne.
Auch wird dem Herrn Pastor kommittirt, falls ein oder anderer Eydtschwerer indessen, bis dahin wieder Synodus gehalten wird, versterben möchte, den nächstfolgenden in officio zu surrogiren und in Aydt nehmen, auch darüber ad protocollum archdiaconale zu berichten.“
[Der Pastor hat zu
protokollieren und dem Archediakon zu berichten, wenn er einen neuen
Eydtschwerer bestimmt, so einer gestorben ist. (Eydtschwerer oder auch
Aydtschwerer waren vom Archediakon oder Pastor bestimmte Personen, die durch
einen Eid in ihr Amt eingeführt wurden und darauf zu achten hatten, dass Sitte
und Ordnung eingehalten wurden. Verstöße hatten sie dem Pastor zu melden, der
entweder selber einschritt oder es aufschrieb, um es beim nächsten „Send“, eine
Art Kirchengericht unter Vorsitz des Archediakons, vorzutragen)]
„Die Eydtschwerer werden erinnert, dass solche auf diejenigen, welche obigen Befehlen zuwider handeln, obsonsten, welche an Sonn- und Feiertagen arbeiten, unkeusches schlechtes Leben führen, verbottene Sachen, als Geistkiekers, Teufelsbanners, Wickers gebrauchen, oder auch wohl in anderen Theilen wider die Gebote Gottes und der Kirche öffentlich handeln, getrewlich anbringen und dieserhalb dem geleisteten Eydt nachkommen“
[Sie hatten also zu registrieren, wer
an Sonn- und Feiertagen arbeitete, ein schlechtes Leben führte, verbotene
Sachen machte wie Zauberei oder öffentlich gegen die Gebote Gottes oder der Kirche verstieß.(Sie waren so
eine Art „Blockwarte“, wie sie in der Nazizeit hießen)]
.
„Dann wird denjenigen, welche
wegen Begräbnisse u. s. w. die Jura annoch rückständig seint, dieselben binnen
6 Wochenso gewiß zu entrichten anbefohlen, als sonsten dazu exkutive angehalten
werden sollen.“
[Wer wegen Begräbnisgebühren
noch im Rückstand ist, wird aufgefordert, sie in einer Frist von 6 Wochen zu
bezahlen. Ansonsten drohen Verwaltungsmaßnahmen.]
„dann
wird ingleichen Allen und Jeden erinnert, sich bei denen Begräbnissen oder
Leichenbegängnüssen fleißig einzustellen, und soll wenigstens von den Benachbarten
aus jedwedem Hause einer dieselben zur Kirche begleiten“.
[Es wird aneine angemessene Beteiligung bei
Beerdigungen erinnert. Wenigstens eine Person aus dem Nachbarhaus sollte
mitgehen.]
„Nicht weniger, da es allhie
allezeit Gewohnheit und Gebrauch gewesen, dass die ohnverheiratethete
Weibspersonen, die sich vergangen, von den Jungfrauen unterschieden die Haare
verdeckt getragen, so wird es dabei belassen und denselben mit bloßen oder
aufgemachten Haaren fürs künftig zu gehen bei 25 Pfd. Wachssrtaff hiermit
verboten“.
[Ledige
Frauen mit unehelichen Kindern sollen zur Unterscheidung von Jungfrauen die
Haare verdeckt tragen, ansonsten sie zu einer Geldstrafe von 25 Pfund Wachsstrafe
herangezogen werden können.]
„Diese
Verordnung soll auf beliebige Zeit vom Herrn Pastor oft vorgelesen werden.
Auf
Befehl des Hochw. Herrn Archdiakonal-Kommissars Heinrich Adolf Böcker,
Archdiakonal-Notar in Herbern.“
Dass
Glocken keine Ewigkeit halten und immer wieder Anlass zur Sorge waren, ist in
einem Brief zu Beginn seiner Amtszeit dokumentiert. Der Inhalt gibt das Bemühen
des Pastors Nagel wieder, wie er die Neuanschaffung einer Glocke finanzieren
will. Der Hintergrund ist, dass die große Glocke einen Riss hat und die zweite
kleine auch verunglückt ist. Durch die weitere Benutzung wird der Riss in der
Glocke immer größer.
Der
Brief an den Amtsdrosten in Werne, Vorsteher der bischöflichen Verwaltung, ist
in einer gewundenen und devoten Amtssprache geschrieben, die sicherlich nicht gesprochen
wurde. Zuerst die Adresse:
[An ihre Freigräfliche
Gnaden und Exzellenz Freiherr von der Reck, Herr zu Steinfurt usw. usw.
Amtsdroste zu Werne, meinem gnädigen Herrn untertänig und gehorsamst vom Pastor
Nagel zu Herbern gerichtetes Gesuch
und Bitte]
„Hochwohlgeborener Freiherr mein
gnädiger Herr und Ambsdroste!
Ihrer Hochfreiherrlichen
Excellence muß hiermit untertänig fürstellen, was gestalten vor einigen jahren
zu Herbern beim läuten die größeste Glock verunglückt und ohn jemanden schuld
gebrochen; alß nun die Kirch zum umbgießen die mitteln nicht hatt, und der
verdorbenen Glocken Spliß wir(d) länger je mehr sich vergrößert, das Gethön
verdirbt mit der Zeit, die Glock gantz unbrauchbar machet, also dass, weile die
kleinste glock ebenfals verunglücket, die Reparation unvermeidlich vorgenommen
werden müsse.“
[Inhaltlich sagt der Pastor: Vor ein paar Jahren sei die
große Glocke beim Läuten gerissen, durch weiteren Gebrauch werde der Riss
größer und der Ton immer schlechter. Die Kirchengemeinde habe aber zum Umgießen
kein Geld. Zu allem Übel sei die zweite,
kleine Glocke auch unbrauchbar geworden. ]
„Alß gelanget ahn Ihre Hochwohlgeborenen
Freigräfliche Gnaden meinem gnädigen Herrn Ambsdrosten meine untertänige Bitte,
Sie geruhen wolten denen Guitsherrn auch Bevollmächtichten deroselben am
Donnerstag, da die.(?).. Kirchgeld Rechnung fryn wird, dieße meine Supplie und
billigste meine Klage in pleno vorlegen zu lassen: damit etwa ein quartal
schatzung zum behufs der umbgießung außgeschlagen werde. Es werden die schatzfreyhen
alßdan nicht ermangelen jeglicher
zur Ehr Gottes und bestellung eines
guten Glockengeläuts das
ihrige – ich gebe auch dazu solches - gutherzig beizubringen. In dießer
Zuversicht empfehle Sie dem allwaltenden Gott in seinem schirm, ermangele auch nicht vor Ihrer Freyherrlichen Gnaden
und Ehegeliebte mit dero Kleinen mein gebett und Meßopfer
allergetreuigst umb
Beharrlichen Lohn Wolfarth hinauszuschicken auf Zeit meines Lebens zu
beharren“.
[Des Weiteren bittet der Pastor, dass die Herren, die
nächstens über die Verwendung der Abgaben
beschließen, eine Quartalsabgabe der Gemeinde für das Umgießen der
Glocke freigeben sollen. Er wolle auch seinen Teil dazu betragen und für die Familie
des Freiherrn beten. ]
„Ihre Freyherrliche
Excellence meines Gnädigen Herrn und Ambstdrosten.
Dienstgehorsamster
Bernard Dietr. Nagel pastor
zu Herbern mpp“
Dazu antwortet der Amtsdroste in Werne indem er auf der
Rückseite des Briefes schreibt:
„Zu infermelten Gesuch ein quartal schatzung wird hiermit dergestalt bewilligt, dass selbiges
durch den Receptor zwarn erhoben, gleichwohl alsdan erst an Supplicanten
ausgehändigt werden solle, was selbiger mittels Collectierung den irruren
abgang, als weit armlich gemeltes quartalschatzung berü...tem und nicht zunichten wird, beysammen gebracht
haben werde.
In Fidem
H Rothman Amtdroste“
[Sinngemäß: Dem Antrag wird
stattgegeben, aber der Kassierer überwacht, dass das Geld zweckgebunden
verwendet wird. ]
Seine
Bemühungen müssen eine besondere Resonanz erzeugt haben, denn 1723 schenkte das
Haus Itlingen der Kirche St. Benedikt eine neue Glocke.
Der
schlichte Kirchenbau war schon vor seiner Zeit fertig, selbst einen neuen Hochaltar
gab es bereits, es fehlte nur eine neue Orgel. Man musste noch mit der alten
sehr schlechten Orgel auskommen, die bis 1720 wiederholt repariert wurde, als
die neue Orgel in Auftrag gegeben wurde. Zu diesem Thema und über die
Orgelbauerfamilien in Herbern hat Josef Drees14 sehr detailliert
geschrieben und dabei auch die Orgeln in St. Benedikt erörtert. Im Archiv
Itlingen gibt es dazu ein aufschlussreiches Dokument aus dem Jahre 1739, das
die Anstrengungen des Pfarrers Nagel wiedergibt, wie er sich intensiv um die
Finanzierung der neuen Orgel gekümmert hat. Dieses weitläufige Dokument soll
hier ganz wiedergegeben werden, denn es nennt Namen aus dem Dorf, die heute
noch geläufig sind und die für viele von Interesse sein können.
„Defignatio und getreuer
ahnzeiger was der H. Pastor Bernhardt Dietr. Nagel im jahr 1737 zur
perfectirung der Herbrische Orgel hin und wieder mühsam collectirt.
Es ist zu wissen aber,
dass ietziger gnädiger Herr Fridrich Ludwig von Nagel Herr zu Itlingen sambt seinem
H. Bruder Thumbherrn zu Münster 110 Taler zur Orgelmachung, nemblich for
infesto Cäciliä als die neu glock benedizirt worden, vor etlichen jahren , umbs
iahre 1723 liberaliter geschonken, so Meister Sylvester Heilmann fällig vom
Haus Itlingen empfangen. Weil aber hiermit die Orgel nicht fertig geworden und
gedachter Sylvester verstorben; Als ist in bey worten dass abgemacht, H. von
Nagel zu Itlingen und Herr Friderich Rieve, zwischen Pastor Nagel und Meister
Goswin Heilman im jahre 1736. d. 1. oct ein formblicher accord zu gänzlicher
perfectionirung (Fertigstellung) der
Orgel wegen vom Pastor Nagel außzuzahlender einhundertfünfunddreißig Taler
schriftlich verfasset worden.“
[Sinngemäß
wird gesagt, dass im Jahre 1723 Ludwig von Nagel und sein Bruder, ein Domherr
in Münster, 110 Taler bei der Weihe einer neuen Glocke für den Bau der Orgel
durch den Meister Sylvester zugesagt und auch später bezahlt haben. Über die
Ausführung der Arbeiten ist Meister Sylvester verstorben. Um die Arbeiten
fortzuführen, haben 1736 der neue Meister Goswin Heilmann, Pastor Nagel, Baron
von Nagel und Friderich Rieve einen Vertrag über 135 Taler geschlossen, für die
die Orgel fertiggestellt werden soll. Pastor Nagel soll das Geld besorgen]
„Worauf der Pastor sich
nach dem Haus Venne begeben, anzeigend daselbst der gnädigen Herrschaft was
gestalten der Hochwürdig hochwohlg. Herr Walternus von Ascheberg Scholaster zu
S. Mauritz bey Münster im jahr 1677 ein Giffte von 50 Rth ahn der Herbernische,
ihre Künftig aufrichtenden Orgel vermachet sub manu (unter Aufsicht) Notary Dyckman. Hat also der
gnädiger Herr Ernst Frid. Von Aschberg im jahr 1738 diese 50 Rth ad manus (zu Händen) Pastoris Nagel
überzahlet.“
[Hier
erinnert sich Pastor Nagel an eine dokumentierte Schenkung des Hauses Venne aus
dem Jahre 1677 über 50 Taler, die er auch erhält.]
„Nun folget, was der Pastor Nagel vor und nach collectirt rthlr schill. pfg.
(obiger Betrag) 50
Seine Hochwürdiger Gnaden Thumbherr von Nagel
als loci archdiaconus (als
örtlicher Erzdiakon) gaben 5
ein gewisser Herr von
Galen 18 8
Haus Nordkirchen
geschenkt 6 10
6
Comes de Ligneville 24
Herr Freiberg, Kellner zu S. Mauritz
1
Herr von Herding, daselbst 1
H Oldtman Canonicus daselbst
1
H Canonicus De Wez 18 8
h von Lutzow 1
H von Beverforde zu Werries 2
H Stephan von Wrichß 18
8
H ..... zu Osnabrück und Herr von St.. 1
Latus 2 (Seite 2)
Abba... S. Ägidi
2
noch 1
9 4
H Doct. Booke
9
4
H Proc. Rive
9 4
Junker Lobeck
9
Fr. V. Wintgens 9
4
Hoffrath Kording 14
Vicaric Borgman zur borg
1
Seiner Hochwurdigen gnädig H. von Droste
Land Commendeur
zu Colln und Morsbruch,
item Thumbsherr Drost von Senden
dederunt [gaben] 7 14
Receptor Schlüter zu
Nodkirchen
14
Thumbherr von Wachtendonk
1 9
4
Frau Wittib von Nagel zu
Itlingen
2 21
ein guter freund 4
8
H. Wldeck 9
4
H Schulte past zu
Warendorf 18 8
H Claes ad S.... 9
4
Joh. Matthias Bole 18 8
ein Vic. zu S. Mauritz 4 8
Closter Ringe 4 8
einer Ver...
1
Vic. Roskotte 2 4
H Luman 4 8
H Vic. Voigt 9 4
H Probst Aegidy 9 4
H Pastor Bockum
9 4
Clüsener zu Hövel 18 8
zu Stockum bekommen
1 19
Von Engelb Schulte daselbst 18 8
H Fridrich Rive 18 8
Henr. Rostrin
1
Joh. Heyeman 1
Herman Wegman 14
gewisser bawesman 2
Hermanny Gehle cum fratre 1 14
Josina Kemler 1
Kemler Custos Capenb.. 13
ein guter freund redux Monris 21
Bathe 18 8
Dirk Brochtrop 7
alte Kuhirtsche und sohn 1 2
Jos: Kotman
2 4
Ferd. Jürgens 1
Dirk Schepers 1 6
Bergman
1
Leusman 6
M. Frantz Kemler 7
Joh. Henr. Niehsman 1 2
M. Jost Suntrop
3 6
Gerh. Hegeman
2 4
Anton Budde
2 4
Latus 3 (Seite 3)
Ferd.
Suntrop
1
6
Ferdin. Lohkamp 2 4
Dith. Lube 2 4
Anton Schick
1
Joh. Will. Wineke 1
Jobst Peters 1
Evert Altforst 2 4
Dirk braukman 2 4
Gerhard Badde 6
Joh. B. Lohoff 1
M. Jobst Cruse 3 6
Theod. Jurgens 7
Dieth. Telman 1
2
Wittib Sennekamp 9
B. Dirck Kaldekirch an
Krüt geschoncke 11 8
Pfächter auf Beckendorf 14
Wittib Krieter 2 4
B. Loman 1
Gerh. Wisßman 7
Gerd Henr. Surman 1
Jos. H. Dyckhoff 3 6
Frau Ritter 2 4
H. Zumbusch 7
Wittib Budde 2 4
Gerh. Schluter 14
H. Recept. Rive
1 7
H. Rentmr. zu Ichterlo
1
H. Pastor zu Rinckerode 14
Hülbomersche ahn Krüt 6
Wördeman 14
Römer zu Nordik an Krüt 21
latus primum [erste Seite, d. Verf:] wan die 50 Rth hizukommen,
so vom Haus Venne
kommen sind, machet 71
rtlr 6 schill 6 pfg
latus 2dum [zweite Seite, ] 34 4 6
latus 3tiem [dritte Seite, ]
8
9 11
Was nebendem die bauersbüsche ahn
Korn ver... , beläuft
sich kümmerlich zu 14
Were also der gantze
empfang 128 11
(1rtlr =
20 sch/1sch = 12pf)
Wollten also ahn die Sumb
135 Rtlr, so der Orgelmacher Heilman haben muß, noch ermangelen 7 Rtlr, und
weiß ich auch von die bauern oder dorfleuten nicht mehr zu bekommen.
ita veru attestor [so bezeuge ich wahrheitsgemäß, ] Bern. Theod. Nagel pastor mpp
Signatum [unterschrieben,
] d 6. apr. 1739
Diese 2 blätter (bitte ich) geruhen Ihrer Gnaden in ihrem archiv hinzulegen“. [Itlingen]
Hier stellt Pastor Nagel fest, dass noch 7 Taler fehlten,
die er bei den Bauern und Dörflern nicht mehr bekommen könne. Wohl mit dem
Hintergedanken, dass das Haus Itlingen die Kosten übernehme, bittet er den
Baron von Nagel, dieses Dokument im Archiv von Itlingen zu hinterlegen, (wo es
sich zurzeit befindet)
Jetzt
folgt eine Aufstellung von persönlichen Ausgaben des Pastors Nagel, die er im
Zusammenhang mit dem Orgelbau gehabt hat.
„Vertatur [nächste Seite]
Anno 1737 habe ich pastor
Nagel in usum organi Herbernsis [wegen der Orgel in Herbern, d. Verf:] weiter ausgegeben, als folgt.
Ahn bretteren achterns gantz
trocken 1 rtlr 14
sh pfg
[ganz trockene Bretter, ]
Von Schweer zu Nordik bretter
gekauft fur 1 14
Fahrlohn solcher bretter
6
Als die Stellstaken ausgerichtet, dem Orgelmacher, und
noch 4 männer, 2 mahlzeiten 10
denselben den tagelohn 7
[beim Aufstellen des Orgelgerüstes erhielten der
Orgelbauer
und noch 4 Männer je 2
Mahlzeiten und den Tagelohn.]
Dem Meistern Wissing
schreinern in Majo ... ad 15. May 8 tage
item d 17. d 18. d 27. 28. 29. 31. daß
lohn, in der tag zu
3 schilling gerechnet facit [macht, ] so er in pastorat verdienet
an orgelarbeit 1 14
noch 2 tage 7
3 mahlzeiten tags 3
schilling, das ist in der mahlzeit 1 schlg
facit in 16 tagen 16
Neben
diesen tagen hat Meister Wissing auf dem Orgelbühne
in der Kirchen gearbeitet 24 tage, der tag am lohn 1 blam.
Die Kost ist der tag auf 1 blam, facit zusammen 6
Kötger Schenking hat 2 tage bey seiner Kost neuer
sprenkelwand bey der blasbälgen gemacht, sowi 9 4
dem Kaldenkirchen sowi
vor; tonne bier so der Vorsteher
vertrunken 1
2 tonne Krutz am Luftbaum aufgelegt 3 14
1 tonne an Römers 1 21
noch
an Römers 17 kannen 8 6
noch am Luftbaum 26 kannen 13
ein neu trap[Treppe] zur
orgel kostet 2
facit (macht) 24
rtlr 25 sh
4 pfg
nach 27. May 39 an schmid Bußman ein rechnung zu orgel
zahlet 20
sh 4 pfg
noch an wein in labore acto [bei der Arbeit] vertrunken1 rtlr
facit
25 rtlr 17 sh 8 pfg
Pro vero sugscripsi [für die Wahrheit habe ich unterschrieben, ]
Bern. Theod. Nagel pastor
mpp
Sign. 6. apr. 1739
Diß alles hat
seine Vollige richtigkeit
1744
9. sept. Pastor B. Nagel pastor“
Die
Arbeit in der Kirche muss wohl durstig gemacht haben, denn es wurde Etliches an
alkoholischen Getränken konsumiert...Wein, Bier, Krüt (Krüt ist ein bierähnliches
Getränk auf Kräuterbasis, das in den Familien gebraut wurde).
Die
Orgel wurde fertiggestellt und versah bis 1846 in Herbern ihren Dienst;
dann wurde sie an die Kirchengemeinde Bockum abgegeben (oder verkauft?)
Ein
weiteres Ereignis findet sich in mehreren Quellen wieder, wobei Julius Schwieters
diese Zusammenfassung macht: „In diesem Jahre (1728) in der Nacht des 8.
November wurde von zwei Dieben die Monstranz und das Ciborium in der Kirche zu
Herbern gestohlen; die Diebe stiegen durch ein Fenster, erbrachen den
Tabernakel und schütteten die h. Hostien aus dem Ciborium auf das Altartuch;
sie wurden am 11. Nov. im Gericht Essen
´bei gehaltener Diebesjagd` festgenommen,
und bei denselben die gestohlenen Sachen in einem Sack vorgefunden. Nach
´scharf peinlichen Fragen` gestanden sie am 20. Nov., die Sachen in Herbern
gestohlen zu haben. Der Pastor Nagel
wurde hiervon von dem Richter
Bischofpink in Kenntnis gesetzt und holte am 28. Nov. mit drei Begleitern die
hl. Gefäße im Essen wieder ab. Die Reparatur der etwas beschädigten Monstranz
kostete 4 Thlr. 7 Schill.“15
Während
seiner Amtszeit von 1718 bis 1750 stand ihm immer ein Kaplan zur Seite, nämlich
die Kapläne Bernard Ontrup, Petrus Gröne, Albertus Terbeck, Gailhelmus Vornfeld
und Theodor Schwerbrock, der sein Nachfolger werden sollte.
Einige
der vielen Leistungen in seiner Amtszeit sind es wert, besonders herausgestellt
zu werden. Beispielhaft sei das Folgende erwähnt. So gibt es im Pfarrarchiv einen
Brief von 1734 an den Archdiakon, in dem er dringend um die Zulassung einer
Hebamme bittet, da die letzte zugelassene verstorben sei:
„Hinc rogo...ut quia hoc
in pago defuncta...obstetrice, obstetrix nulla superset, Conjugatam Catharinam
Jürgens, Chirurgi Verdcheval uxorem, bonae parentelae et vitae mulierem
reascemere ad id Officii...admittere“
[So
bitte ich...weil es hier in der Gegend durch Verscheiden der Hebamme keine mehr
gibt, zu genehmigen, dass die verheiratete Catharine Jürgens, die Frau des
Chirurgen Verdchewal, einer Frau von guter Abstammung und mit gutem Lebenslauf,
dieses Amt übernimmt ]
Nebenbei
erfahren wir auch, dass es zu der Zeit im Dorf schon einen „Chirurgen“
(Wundarzt) gegeben haben muss.
Das
Verhältnis des Pastors zu den adeligen Häusern muss sehr gut gewesen sein, denn
ein von ihm herausgegebenes Büchlein mit Fastenspredigten widmete er der
Familie Merveldt. Anderseits bedachte eine Dame aus dem Hause Itlingen in ihrem
Testament die Kirchengemeinde St. Benedikt mit einer Stiftung von 100 Talern, deren
Erträge (Zinsen) dem Organisten zustanden.
In
dem Testament der Anna...Theresia von Nagel aus dem Jahre 1748 wird in der
Anlage 3 unter Punkt 10 verfügt:
„Als die organistenstelle
zu Herberen von schlechten einkünften, legire an denselben zu beßeren Subsistence
des zeitlichen organisten daselbst in capitali Hundert Thaler umb damit die
renten jährlichs zu genießen.“7
[Der Organist in Herbern hat ein schlechtes
Einkommen, deswegen vermache ich zur besseren Existenz des jeweiligen
Organisten ein Kapital von 100 Talern, deren Zinsen er jährlich erhält.]
Zusammenfassend
kann man das Wirken des Pfarrers als einen Gewinn für die Gemeinde betrachten.
Geprägt durch eine gute Ausbildung bei den Jesuiten in Münster führte er durch
ein straffes Regiment die Gemeinde in geordnete Verhältnisse. Sein Nachfolger
musste kurze Zeit nach seinem Tode im Jahre 1750 die Leiden des 7-jährigen
Krieges mit seiner Gemeinde durchleben.
Pastor
Schwerbrock wurde 1712 in Telgte geboren, studierte in Münster 4 Jahre
Theologie und wurde 1738 vom Bischof Osterhoff zum Priester geweiht. 1750 wurde
er vom Generalvikar Fürstenberg zum Pfarrer in St. Benedikt bestellt. Vorher
diente er zwei Jahre in Telgte, dann ein Jahr in Walstedde und ein Jahr in Ascheberg,
wurde dann acht Jahre Kaplan in Herbern, bevor er dann nach dem Tod des Pfarrer
Nagel dessen Pfarrstelle erhielt. In seiner Amtszeit waren die Kapläne
Ferdinand Theodor Nagel und J. Gerhard Möllmann tätig.
Pastor
Schwerbrock hatte, nachdem er in seiner Herberner Kaplanszeit die „wohlfeile
Zeit“ mit seinem Vorgänger erleben durfte, eine sehr schwere Zeit vor sich. Der
„Siebenjährige Krieg“ von 1756 - 1763, der nicht nur im zersplitterten
Deutschland zwischen Preußen und Österreich tobte, sondern nach und nach große
Teile Europas und Nordamerikas überzog, belud die Bevölkerung mit Lasten, die
erst am Ende des Jahrhunderts abgetragen waren. Der Pfarrer war von diesen
Lasten in keiner Weise ausgenommen, sondern er war teilweise persönlich sehr
stark betroffen. Da das Bistum Münster auf der Seite Österreichs stand, die
Mark mit Hamm sowie Minden, Ravensberg und Kleve preußisch waren, lag Herbern
im Grenzgebiet der verfeindeten Parteien und war entsprechend betroffen. Die
überregionalen Ereignisse sind in der einschlägigen Literatur beschrieben, die
örtlichen Ereignisse, Herbern und Umgebung betreffend, hat Julius Schwieters eingehend erörtert. Nicht nur, dass sich die Gemeinde
arg und langfristig verschulden musste, auch wurden Vorräte und Saatgut und
Vieh wiederholt beschlagnahmt oder geplündert, wie in Nordick geschehen oder
die Bevölkerung wurde zu Schanzarbeiten gezwungen. Der Pfarrer wurde sogar in
Hamm in Geiselhaft genommen, damit Geld von der Gemeinde erpresst werden
konnte. Auch die Bevölkerung musste sich durch Zwangsabgaben hoch verschulden.
Mitten
in den Kriegswirren wurde der Pfarrer in ein Liebesverhältnis verwickelt, in
das die Häuser von der Reck und Itlingen einbezogen werden. Die Dame war eine
Angestellte des Hauses von der Reck. Zunächst versuchte der Pfarrer das
Verhältnis durch das Generalvikariat unter Mithilfe des Barons von Nagel
legalisieren zu lassen, doch solche Zeiten, in denen das noch möglich war,
lagen gut hundert Jahre zurück. Nach einer sehr harten Gerichtsverhandlung im
Generalvikariat wurde das Verhältnis aufgearbeitet. Unter Auflagen blieb er
Pastor in Herbern, jedoch liegt darin der Schlüssel zu seinem späteren
Verhängnis.
Mit
Kriegsende 1763 war wiederum ein Tiefpunkt im Gemeindeleben erreicht. Bauernland
stellte kaum noch einen Wert dar, weil die Preise für Getreide verfielen.
Nur
langsam erholten sich Land und Leute. Dann wurden wieder neue Häuser errichtet,
die lange, zum Teil bis heute, das Aussehen Herberns geprägt haben. 13 Jahre
später, nachdem sich die Zustände im Jahre 1770 normalisiert hatten, stand eine
Visitation an. Das Protokoll der Visitation gibt den guten Zustand der Gemeinde
und des Pastorates mit seinen Einrichtungen wieder. Insgesamt wurde die Pfarre
während seiner Amtszeit dreimal visitiert, wobei jedes Mal ein guter Zustand
bescheinigt wurde. Zusammenfassend folgen einige aufschlussreiche Angaben:
Es
lebten ungefähr 1900 Personen in der Kirchengemeinde, alle katholisch (mit Ausnahme
die des jüdischen Glaubens), davon Kommunikanten 1409. An Sonn- und Feiertagen
werde ein feierlicher Gottesdienst mit Kommunion zelebriert. Ab und an werde
sonntags der Katechismus gelehrt. Erwachsene und Junge seien in Glaubenssachen
gut unterrichtet und kundig. Im Umfeld und im Kontrollbereich der Kirche arbeiteten
verschiedene Personen:
Zuerst werden drei Hebammen genannt [30
Jahre zuvor war es eine], was auf eine hohe Geburtenrate schließen lässt. Alle
drei seien geprüft, hätten einen guten Leumund und dürften die Nottaufe geben.
Der Lehrer Johann Hen. Finmann, geboren
in Greven, habe in Münster studiert und unterrichtete etwa im Jahresdurchschnitt
70 Schüler. Die großen Schüler würden zusammen mit den Mädchen unterrichtet,
[was nicht der Norm entsprach]. Das Schulgebäude werde von der Gemeinde
unterhalten. Die Einkünfte des Lehrers würden aus Zinseinkünften einer
Stiftung, einer Zusatzabgabe und aus dem Schulgeld bestritten.
Als Küster sei der Herberaner Dith.
Humpers tätig. Ausgewählt und angestellt worden sei er vom Haus Itlingen, das
auch einen Teil des Unterhalts trage. Seitdem er im Amt sei, hätten sich die
Zustände in der Kirche wesentlich verbessert.
Auch der Organist sei vom Haus Itlingen
10 Jahre vorher angestellt worden. Seine Einkünfte werden als sehr bescheiden
beschrieben.
Als Kaplan sei Bernd Theodor Nagel seit
1751 tätig [und er wird bis 1785 in Herbern bleiben]. Er war auch Hauskaplan
auf Haus Ichterloh und Haus Venne. Daher waren seine Aufgaben in St. Benedikt
eingeschränkt. Dort musste er in der Woche drei Messen lesen, zweimal
Religionsunterricht halten und auf Nachfrage Krankenbesuche mit
Sakramentenspendung durchführen. Er war Mitglied im Chor und assistierte bei
kirchlichen Handlungen. Seine Einkünfte stammten aus verschiedenen Quellen und
schienen gut zu sein.
Das Kirchengebäude sei ausreichend groß
für die Bevölkerung, sauber, vollständig und in keiner Weise unwürdig. Der Weg
aber, den der Pfarrer zur Kirche gehen müsse, sei in einem sehr schlechten
Zustand. [Wenn man bedenkt, wie kurz der Weg vom alten Pastorat zur Kirche war,
so müssen die Verhältnisse extrem schlecht gewesen sein, um besonders erwähnt
zu werden]. Der Kirchenraum habe keinen Estrich, es gebe aber stabile Sitzbänke
von mittlerer Größe, die Eingänge seien gut und sicher, ebenso wie die Wände
und die Säulen; die Kirchenfenster dagegen seien in einem schlechten Zustand.
Dach und Turm mit Uhrwerk wiederum seien gut gewartet. Das Geläut bestehe aus
drei Glocken.
Beim Friedhof handelte es sich um ein
geweihtes Areal mit einem Beinhaus, aber mit keiner weiteren Bebauung, auch
nicht im Bereich der Kirchenmauer. Verstorbene und getaufte Kinder wurden mit
normalem Ritus beerdigt, für ungetaufte Kinder aber gab es einen besonderen Ort
auf dem Friedhof (der Friedhof damals ist in etwa das Areal des heutigen
Kirchplatzes).
Früher
wurde die große Prozession beim Besuch des Archdiakon abgehalten, zu jener Zeit
aber fand sie am Sonntag nach Peter und Paul statt, die zweite Prozession in
der Oktave von Fronleichnam.
Des
Weiteren ist im Protokoll vermerkt, dass es keine Bruderschaften oder Sodalitäten gegeben habe.
Infolge der Kriegseinwirkungen lösten sich die bestehenden Organisationen
vermutlich auf, wurden allerdings später mit neuem Leben erfüllt.
Als
Anhang zu dem Visitationsprotokoll gibt es eine Aufstellung über die Einkünfte
des Pfarrers, die hier als Ganzes wiedergegeben werden soll:
„Bona, et
Proventus Pastoris Herberensis
sunt, ut sequitur [Jetzt folgt eine
Auflistung mit den Einkünften des Pfarrers von Herbern,]
rl sh gr
1. Ein Kamp hinter Pastoratsgarten 18.
Schäffels Einsats
à Sch. 18 sh, 18 gr [18 Scheffel Saatkorn, ] 12
2. Ein Kamp ad 18 Sch Einsats die Brese
genannt 12
3. Acht stück landes aufm Markenberge
9 Sch Einsats à Sch 14. sh facit [macht] 4 14
4.
21 Stück aufm Siepen ad 24 Sch Einsats, 14 sh facit 10 14
5. sieben kleine Stücke aufm Berge in
einer Fuhr gelegen
ad 7 Sch. Einsats à Sch 18 sh 8 gr
facit 4 18 8
noch daselbst 3 Stück à 5 Sch
Einsats à 14 sh facit 2 14
6. Vier Stück auf der Beck 6 sch Einsats
9 sh 4 gr facit 2
7. ein Kamp 5 Sch. schlecht Land thut
jährlich an P(f)acht 1 14
8.
auf der Geist 2 stück 3 sch à 18 sh 4 gr 2
9. aufm Xoland drey Fuhr schlecht land
Thut an Pfacht jährlichs 1 7
10.auf der Siegebrede 2 Stück à 3
Schäffel à 16 sh 4 gr 1 21
11. zwei kleine Stücke auf der hohen Brede von 2 Sch. 1 gt
thuet an Pfacht jährlichs 1 9
12. auf der uhle welle, und osten brede 8 Stück 15 Sch. Einsats
liegen wüst, weilen sie zu bauen
unwirklich
13. 8 Stück aufm Greven Xöhr 12 Sch Einsats thuen jährlichs
an Pfacht 4
14. eine kleine wiese ad ein Fuder Heu gewächs angeschlagen zu 3
15. eine Kühe weide in des Hrn. von
Fürstenberg kleinen Kamp
zu betreiben ad 2 14
16. drey Stück Holzgewachs in
Hülsberge, so seperatim zwischen
anderem Geholz liegen, wovon gar
keinen Nutzen habe
17. Ein kleiner busch, in welchem etliche Telgen (junge Bäume)
stehen, mit allerlei Untergehölz,
wo alle Jahre ein oder zwei
Fuder Buschen [Bündel aus
Zopfholz und Reisig,
übliches Brennmaterial] hauen kann,
übriges Holz muß alle ....[(?)]
18. Garten Heuer rendiret jährlichs 25
[Jahresmiete für Gärten]
19. Grund-geld aus dem dorf von etlichen Häusern 6
20. Missatium 41/2 Malt gersten, ex Pagta
2 Malt gersten
à Malt 4 rl facit 26
21. an Wachs 45 Pf à 12 Pf 1rl facit 3 21
22. pension de capitalibus [Erträge aus Kapital] 8 14
23. Jura Stolae majoris, et minoris Circiter [ungefär] 40
24. ex parva domo auf pastoratem grund,
und Hofbelegen an Heuer 4
Summa 178 21
Jura Stolae mojoris, et minoris
sunt, ut sequitur
[größere und kleinere Gebühren für Leistungen
der Geistlichen sind, wie folgt]
Pro introductione Puerpere [für Einführung der Wöchnerin ] 1 6
pro copulatione [für eine Hochzeit] 1
pro sepultura adulti [für die Beerdigung eines Erwachsenen ] 1
ex his participat Sacell [davon erhält der Kaplan 7 sh]
quand ipsemet sepelitur funus [wenn
er die Leiche beerdigt] 14
Jura baptismi pro pastore [Gebühren der Taufe durch den Pastor:] 2
pro Sacellano [für den Kaplan]
1
pro sepult. infantum Pastor [für ein Kindsbeerdigung] 5 3
Sacellanus 1 9
pro precibus annis Pastor [für die
Jahresgebete] 14
Sacellanus 14
Jura pro administrat. viatici cum extrema unctione in pago 1 6
[Versehgang mit Krankensalbung in
der Gemeinde]
extra pagum [außerhalb] 3
pro
dimissorialibus Pastor solus 1
Concordat
cum originali [stimmt mit dem
Original überein,
quod in fidem refero was ich bezeuge]
Johannes
Wilhelmus Gabler
Pfarrer
Schwerbrock muss ein zurückhaltender und bescheidener, aber auch ein unduldsamer
Mensch von gespaltener Persönlichkeit gewesen sein, dem in Herbern zum Ende
seiner Amtszeit sehr viel Unrecht und Verletzendes widerfuhr. Er selbst
hinterließ während seiner Zeit in Herbern nicht viel Schriftliches, jedoch gibt
es über seine Person ein umfangreiches Aktenbündel im Bistumsarchiv. Während
seiner Amtszeit hatte er sich einige Feinde in Herbern und bei den Vorgesetzten
geschaffen, die nur auf eine Gelegenheit warteten, dem Pastor zu schaden. Kurz
vor seinem Ruhestand war es soweit.
Im
Jahre 1779 hatte die Nichte des Pfarrers, die im Pastorat beschäftigt war, ein
uneheliches Kind geboren, als dessen Vater der Knecht „Janns“ genannt wird.
Beide müssten sich vor dem Sendgericht wegen Unzucht verantworten. Dem Pfarrer
wurde auferlegt, seine Nichte und den Knecht „Janns“ sofort zu entlassen. Da aber
der Pastor mit der Feldbestellung noch nicht fertig war, wollte er ihn noch 14
Tage behalten. Derweil wurde im Dorf von seinen Gegnern das Gerücht verbreitet,
der Pastor habe ein „Verständnis“ (Umschreibung von Homosexualität) mit seinem
Knecht, der ihn erpresse. Ein anderes Gerücht besagte, dass der Pfarrer der
Vater des Kindes sei und er Blutschande begangen habe. Die Gerüchte drangen bis
zum Generalvikariat durch, welches augenblicklich aktiv wurde. Der Pastor wurde
nach Münster befohlen und sofort in ein Kloster der Barmherzigen Brüder
eingewiesen – er sah Herbern nicht wieder.
Seine
Ordnung im Pfarramt muss in seinen letzten Amtsjahren nicht die beste gewesen
sein, denn es gab zu allem Überfluss noch mit seinem Nachfolger Pastor Jochmaring
etwas später eine heftige Auseinandersetzung, die in einer Verhandlung im
Barmherzigen Brüder Kloster beigelegt wurde. Dazu gibt es ein ausführliches
Protokoll: Das Testament seines Vorgängers Pastor Nagel war unbearbeitet
liegengeblieben, Schenkungen waren nicht ordnungsgemäß verbucht worden und
vieles mehr war nicht bearbeitet worden.
Als
seine Pastorenzeit in Herbern mit dem Generalvikariat abgearbeitet war, schrieb
er einen Rechtfertigungsbrief, datiert vom 18. Juni 1780, an den „Administrator
des geistlichen Vikariatgerichtes“, in dem er mit seiner Zeit in Herbern und
mit seinen Vorgesetzten abrechnet. Alle diese Vorwürfe und Ereignisse sind dort
genauestens aufgeführt. Er war zutiefst verletzt und erbost über die
Behandlung, der er von der Gemeinde, vom Haus Itlingen, seinem Kaplan und
Nachfolger Jochmaring und seinen Vorgesetzten ausgesetzt war. Heute würde man
sagen, der Pfarrer wurde „weggemobbt.“ Der Brief ist zum besseren Verständnis
hier an die uns geläufige Sprache angepasst, sinngemäß und zum Teil stark
gekürzt wiedergegeben:16
“Mein elender Zustand, wie auch
das Verfahren mit mir und mit meinen Gütern, wird zweifelsohne Eu. Hochwürden
Herrn Geheimen Rath im Generellen, nicht aber im Speziellen bekannt sein. Denn sobald ich hier in Münster
ankam und sofort in die Exerzitien verwiesen wurde, wurde publiziert, dass
meine Ländereien, die ich selbst
verwaltete, dem Meistbietenden sollten verpachtet werden; ebenso sollten meine
3 Pferde, die 100 Rthl wert waren, das Rindvieh, ferner Karren, Pflug und
Eggen, Pferdegeschirre mit Zugketten, zusammen alles, was man zum Ackerbau
benötigt und was sich in bestem Zustand befindet, verkauft werden. Die Pacht von
100 Rthl hätte leicht aus den Erlösen aus dem Sommer- und Wintergetreide
bezahlt werden können, wenn man mir einen Monat Zeit gegeben hätte. Obwohl ich
dagegen protestierte, wurde mir kein Gehör geschenkt
Während ich in Münster war, ist
der Herr Commissarius Forckenbeck mit dem Aktuario H. Habeck nach Herbern
gereist und hat sich dort einige Tage aufgehalten. Meinetwegen haben sie
verschiedene Personen, gute wie böse (davon gab es nur wenige), und alle meine
Mägde, selbst die, die vor 20 Jahren bei mir waren, vernommen. Die Aussagen von
denen, die mir nicht gut gesonnen waren, so 4 oder 5 Personen, hat man
protokolliert, die Aussagen der frommen und ehrlichen Leute aber, der überwiegenden
Mehrheit, hat man nicht aufgenommen. Auch hat man die Fuselwirte (Gastwirte)
vernommen, als wäre ich ein Säufer, nur weil ich falsch beschuldigt wurde. Wie
die Dorfgerüchte melden, hat man Zeugen ausgesucht, die vor keinem Gericht
bestehen können, nämlich Huren und Diebe. Man hat sie besonders ausgesucht und
ausgerichtet mit der Aussage, dass sie keine Furcht zu haben brauchten, denn
der Pastor käme sowieso nicht wieder. Einer, den ich einmal wegen Verbreitung
von Gerüchten und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhören musste und
anklagen sollte, hat sich verleiten lassen, Bosheiten gegen mich unter Meineid
zu Protokoll zu geben. Aus allen diesen Aussagen ist ein Protokoll angefertigt
worden, womit ich konfrontiert wurde. Von den wesentlichen Punkten ist kein
einziger wahr, bis auf einen Punkt, den ich eingestanden habe. Es geht um mein
Verhältnis zu Frau...., ein Unglück, in das ich vor 23 Jahren im Jahr 1757
geraten bin.
Bei der Gerichtsverhandlung habe
ich mich darüber beschwert und gesagt, dass
im Dorf keiner gegen mich ausgesagt hätte und es nicht zum Skandal
gekommen wäre, wenn ich dort gewesen wäre.... Der Commissarius bedeutete, dass
genau aus diesem Grund ich ferngehalten worden wäre....
Der Herr Commissarius muss mich
grausam bei Ihro Hochwürden Herrn Geheimen Rath verklagt haben, weil ich gleich
nach meiner Ankunft suspendiert wurde; dass dieser Herr mich seit mehreren
Jahren verfolgt, ist mir bekannt. Ich kann auch beweisen, dass er angeordnet
hat, auf meine Fehler acht zu geben. Da war all die Jahre nichts zu berichten,
bis man sich einer Gelegenheit bediente: als die unzucht meines knechts und
meiner leiblichen schwester Tochter ans offene kame – obwohl diese ihr
verbrechen bekannt und mit einer Eydschwur bekräftigen müssen, auch beide sind
gestraffet worden – nach gehaltenen sendgericht solche columnisse und ehrendiebische
reden geführt; als hätte ich eine verständnis mit meinem knecht Janns, ist dem
Herrn von Nagel von meinem größten feind gesagt worden. Ich hätte dem knecht
300 Rthl gebotten aber 700 wollte er haben....
Bei einem Besuch hat Herr von
Nagel mich dieser in Gegenwart von Geistlichen bloßstellen wollen, diese Herren
aber bekräftigten es nicht zu tun, denn sie wüssten, dass ich unschuldig sei
und dass meine Gegner genau dies erreichen wollten, nämlich dem Pastor bei
Ihrer Excellenze allen Glauben, Respekt und Ehre zu nehmen. Ich wurde nochmals
bei Tisch in Gegenwart der gnädigen Frauen examiniert und gefragt, ob ich den
Kerl noch im Hause hätte, was ich bejahen musste; meine Nichte hätte ich letzte
Woche zu ihrer Mutter geschickt. Den Kerl aber hätte ich aber wegen des
Ackerbaus noch 14 Tage im Hause. Da entschied Herr von Nagel, dass er anderntags
mir seinen Hausgeistlichen und den Notar als Zeugen vorbeischicken wollte, vor
denen der Knecht sein Verbrechen nochmals bekennen sollte; alsdann sollte ich
ihm seinen Lohn geben und aus dem Haus jagen, was auch geschehen ist...
Abbildung 3: Brief Schwerbrocks
Alles dies ist vom Commissario
nicht protokolliert worden, auch nicht, als ich ihm Rede und Antwort stehen
konnte und auch nich,t als ich ihm sagte ,dass der Kerl mir Korn im Wert von
100 Rthl unter Beihilfe meiner Nichte
gestohlen und an einen Fuselbrenner verkauft hätte. Als der Commissario Beweise
verlangte, sagte ich ihm, dass der Fuselbrenner ihm ein Haus im wert von 90
Rthl gekauft hätte, was im ganzen Dorf bekannt sei.“
Des
Weiteren ging der Pastor auf das Schicksal seiner Nichte ein, die notgedrungen
den Knecht Janns heiraten wollte und der er dafür die damals notwendigen
Papiere besorgte. Das Kind der Nichte starb darüber. Dann legte er in einem
Rückblicht seinen Lebenslauf mit seinen Leistungen an den verschiedenen Orten
dar und wie er mit Lob überschüttet wurde. Beste Leistungen als Kaplan wurden
ihm schriftlich vom Herrn von Fürstenberg bestätigt. Als Pastor Nagel im
Oktober 1750 starb, wurde er gleich sein Nachfolger. Dreimal wurde während
seiner Amtszeit die Pfarre vom Archdiakon visitiert, und jedes Mal gab es beste
Ergebnisse für ihn und seine Pfarrei, auch die mehrfachen Sendgerichte waren
zufriedenstellend. Den Küster, Schulmeister, Organist und die Sängerinnen auf
der Orgelbühne bezahlte er bei besonderen Anlässen in der Kirche aus seinem
„Sack“ selbst. Trotz aller von ihm erbrachten Leistungen fühlte er sich
hintergangen und seiner Ehre, sowie Hab und Gut beraubt. Er habe alles getan,
was ihm empfohlen wurde zu tun, um gerechtfertigt aus dem Verfahren
herauszukommen. Auf sein geschätztes Vermögen von 2000 Talern hatte er keinen
Zugriff mehr.
„Ihr habt mir empfohlen, mich bei
meiner Verhandlung der hohen Obrigkeit zu Füssen [sic!] zu legen, mich auch dem
Herrn Jochmaring bei der Verhandlung (im Kloster) zu fügen ...in summa habe ich
alles getan, was die Herren verlangt haben....Ich habe kein Geld mehr, habe
keinen Zugriff auf meinen Besitz und die mir zugesagten Gelder. Daher habe ich
unlängst meinen Balbierer (Frisör) zu dem Halbeck geschickt, damit er ihm den
ausstehenden Jahreslohn auszahle, wurde aber abgewiesen. Ich muss mir für den
täglichen Bedarf Geld von meinem Bruder leihen. Meine Güter sind verkauft, wo
die Gelder bleiben, weiß ich nicht. Ich hoffe nicht, dass von meinem Geld
Rechnungen bezahlt werden, die ich nicht selbst abgezeichnet habe...Ich bitte
demütigst den lieben Herrn geheimen Rat diesem Treiben Einhalt zu
gebieten...zwei meiner Knechte haben schon falsche Rechnungen eingereicht.“
Hier
kann man feststellen, dass er seinen Kollegen und späteren Nachfolger auch zu
seinen Gegnern zählt, denn er schreibt nur von dem ´Herrn Jochmaring` und nicht
vom Pfarrer und das Schreiben gipfelt in der Aussage:“wurden von meinen feinden ehrlose bosheiten erdacht,
besonders von einem geistlichen der alle tage sacrifiret, wovon einen ehrlichen
man grauen müsste.“
Franz
Joseph Jochmaring
Franz
Joseph Jochmaring (auch Jochmoring), geboren in
Dorsten am 15. November 1752, war von 1779 - 1807 Pfarrer in St.
Benedikt. Er übernahm sein Amt in Herbern im
September 1779, und er war der letzte in der Reihe der Pfarrer, die sowohl die
geistliche als auch teilweise die weltliche Ordnung repräsentierten. Während seiner
Amtszeit wurde das Fürstbistum Münster aufgelöst und somit zu einem Teil Preußens.
Bis
dahin hatte das Gedankengut der Aufklärung, anders als in Teilen Westfalens, Herbern
noch nicht erreicht. Man lebte noch immer in seinem kleinen übersichtlichen
Umfeld und gehorchte den täglichen Sachzwängen. Im Übrigen sprach man Plattdeutsch.
Die Mehrheit der Bevölkerung war trotz Schulbesuchs in der Jugend nicht genug
geübt im Gebrauch der hochdeutschen Amtssprache, so dass man sich mit amtlichen
Dokumenten an den Küster Humpers oder den Lehrer wandte, der häufig neben dem
Lehrerberuf als Notar tätig war. Die Obrigkeit, repräsentiert durch Adel und
Kirche, war bis dahin so sehr im alten Gedankengut verhaftet, dass die von ihr
benutzte hochdeutsche Schriftsprache noch weit entfernt von der Sprache der deutschen
Klassik war. In Münster aber fand eine kleine stille Revolution von oben statt.
Mit Fürstenberg und Overberg waren zwei Männer im Bistum beratend und leitend tätig,
die mit den Reformen, besonders mit der Schulreform, Entscheidendes bewirkten.
Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren wurden schulpflichtig und Lehrer mussten ihre
Befähigung nachweisen. Allmählich bis zur Jahrhundertwende machte sich die
Schulreform durch bessere Bildung in der Bevölkerung bemerkbar.
Wenn
man die Dokumente im Pfarrarchiv dieser Zeit vor der französischen Revolution
liest, kann man sich vorstellen, wie viel Bücklinge oder andere unterwürfige
Handlungen die Bevölkerung und selbst die örtliche Geistlichkeit gegenüber der
Obrigkeit immer noch machte. Alles dies wird ausgedrückt in einem Schreiben des
Pastors an den Generalvikar. Im März des Jahres 1781 nämlich wird Herbern durch
einen Raubüberfall mit Todesfolge erschüttert. Dadurch, dass das Opfer aufgrund
seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in Herbern beerdigt werden sollte, der
Tote aber nicht katholisch war, hatte der Pastor ein Problem: Wie sollte er die
Beerdigung durchführen? Das Schreiben wurde durch einen Boten überbracht, der
auch die Antwort dem Pfarrer versiegelt zurückbrachte:
Euer Hochwürden erlauben mir
unterthänigst diesen expressen Bothen an Sie zu schreiben, in dero Befehl den
hier vorgefallenen Fall zu vernehmen.
Ein Kaufmann aus Solingen
gebürtig, mit Namen J. Wilhelm Kleine, reformierter Religion, wurde den 22ten
dieses [Monats] ohngefehr eine halbe Stunde von
Herberen, von Spitzbuben angefallen, durchs Knie geschossen, und starb heute
den 26ten allhier im Dorfe Herberen. [Die
Tat geschah in der Nähe von Kreuzkamp in der Bauernschaft Forsthövel.]
Euer Hochwürden wollen
mir also gefälligst durch diesen Bothen dero Befehl zukommen lassen, wie ich
als Pfarrer mich bei der Beerdigung dieses Mannes verhalten soll, und wo ich
ihn soll begraben lassen, mit oder ohne Geläut der Glocken, ob ich nach römisch
katholischer Ceremonica die Leiche zum Grabe bringen, und falls ich von seinen
Freunden sollte ersucht werden, auch Exquiem vor dem Verstorbenen halten soll.
In Erwartung dero
Befehl habe ich die Ehre mit dem innersten Gefühl der Danksagung für so viele
Wohltaten mich zu nennen meines Hochwürdigsten Hochwohlgeborenen
Hochgelobtesten besonders hochgeehrtesten Herrn, Herrn Administratus
Unterthänigsterr
Herberen, d. 26ten Diener
März 1787
Joseph
Jochmaring
Pastor
in Herberen“
Auf
der Rückseite antwortet der Administratus in einer (kaum lesbaren) schnellen
Schrift. Der Inhalt ist sinngemäß folgender: Falls der Pfarrer die Person vor
dessen Tod aufgesucht hat und dieser durch den Pfarrer die Absolution erhalten
hat, wird er wie alle Katholiken beerdigt, also mit Glockengeläut und Exquiem.
Im anderen Falle soll er auf dem Heidenfriedhof oder in einem am Rand gelegenen
Grab beigesetzt werden; der Pfarrer darf in schwarzer Kleidung an der
Beerdigung teilnehmen; Glockengeläut ist aber untersagt. – Das war eine klare
Antwort zu einem Problem, dass einige Jahre später bei den Preußen oder
Franzosen in der Form nicht mehr existierte.
Aus
der Zeit dieses Pfarrers lebt eine Erzählung in unserm Dorf, die von Günther Lube
aufgeschrieben wurde und hier mit seinen Worten, oder wie er sie in einer anderen
Quellen gefunden hat, wiedergegeben werden soll:
“An
einem Sonntag nämlich wird unter dem Hochamte beim Evangelium plötzlich die
Sturmglocke gezogen, und durch die Kirche verbreitet sich alsbald die Kunde,
dass böses Volk, Spitzbuben und Raubgesindel im Kirchspiel sein Unwesen treibe.
Alles stürmte aus der Kirche und Pfarrer Jochmaring, der das Hochamt zelebriert,
fährt nicht weiter fort, sondern legt hurtig die Paramente ab und zieht mit
seinen Parochianern ins Kirchspiel, um die Spitzbuben aufzusuchen. Man findet
sie in einem Versteck, macht mit ihnen kurzen summarischen Prozess und sie für
alle folgenden Fälle unschädlich, d. h. todt; kehrt dann zum Dorf und zur
Kirche zurück, und Jochmaring fährt jetzt
mit dem Hochamte fort.“
Diese
Geschichte klingt in dieser Form unwahrscheinlich, doch wird sie einen wahren
Kern haben, denn noch lange existierte das Evangeliums-Läuten im Andenken an
jenen Vorfall.
Westfalen
war zum Ende des 18. Jahrhunderts ein kurioses Gebilde. In den preußischen
Teilen hatte sich ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem „Flickenteppichstaat“ entwickelt,
das den Münsterländern völlig fehlte. Man gehörte zum Bistum Münster, war jetzt
fast ausschließlich katholisch und lebte vom Handwerk und der Landwirtschaft
oder man verdingte sich als Gastarbeiter in Holland. Als Westfale hatte man im
Reich ohnehin keine gute Reputation, man galt als ungebildet, unbeweglich und
ein bisschen geistig beschränkt, etwa wie im 19. Jahrhundert die Bayern und im
letzten Jahrhundert die Ostfriesen. Verursacht oder verstärkt hat dieses
Vorurteil Voltaire, der große französische Vordenker der Aufklärung. Er lässt
seinen Helden Candide durch ganz Europa reisen, der wegen seiner
Tollpatschigkeit überall negativ auffällt. Es gibt mehrere Versionen, wieso er
ausgerechnet einen Westfalen als Negativhelden darstellte. Eine Version wurde
dem Verfasser vor einigen Jahren in Hultrop bei Soest in der Gaststätte
Nordhoff, zu der auch eine Brennerei gehört, erzählt: Die Gaststätte Nordhoff
war eine Postkutschenstation an der preußischen Strecke von Kleve nach Potsdam.
Wenn Voltaire diese Strecke zum Besuch des Preußenkönigs bereiste, machte er in
Hultrop Rast. Während einer solchen
Reise soll er eines Abends mit den Hultropern bei einem Trinkgelage in Streit
geraten sein, wobei er von den Dorfbewohnern Prügel bezog. Aus Rache soll er
daher den Westfalen als ungehobelten, ungebildeten Menschen dargestellt haben.
Bald
schon verbreiteten sich die ersten Gerüchte: In Frankreich tobten unglaubliche
Ereignisse. Die Bevölkerung habe sich, was ein nie da gewesenes Vergehen sei,
gegen den Adel und die Kirche erhoben. Man war erschüttert über das Vorgehen gegen
die überkommene Ordnung. Plötzlich kamen die ersten Priester und die ersten
Adeligen als Flüchtlinge in das Bistum und wurden auf die Pfarrgemeinden
verteilt. Westfalen - und besonders das
Münsterland - wurde das gelobte Land der Flüchtlinge. Preußen bot seine Stadt
Hamm an, und bald war Hamm von einem bunten Menschentross überschwemmt, über
deren Gehabe und Benehmen die biedere Bevölkerung nur den Kopf schüttelte. Der
niedere Klerus war im Gegensatz zu der höheren Geistlichkeit überwiegend sehr
aufgeschlossen und half in den Gemeinden, so weit es die sprachlichen Barrieren
erlaubten. Viele französische Geistliche, besonders die aus dem Elsass und aus
dem deutsch sprechenden Teil Lothringens, gaben Unterricht in der französischen
Sprache. Bei uns in Herbern wurden 3 Geistliche aufgenommen, die bei Humpers,
German und Westhoff wohnten.
Der
hohe Klerus stellte häufig ungerechtfertigte Ansprüche, die manchmal zu heftigen
Streitereien führten; man wollte auf das bisher gelebte angenehme Leben nicht
verzichten. Die Aufnahme der Flüchtlinge war nicht ganz uneigennützig. Hatte
man im Reich, besonders aber in Preußen, doch vor einem guten Jahrhundert mit
den Hugenotten beste Erfahrungen gemacht und erwartete daher auch einen kulturellen
und wirtschaftlichen Schub für das Land.
Hinzu
kam, dass die Preise für landwirtschaftliche Produkte explodierten, was ein
Segen für das Dorf zu sein schien. Innerhalb weniger Jahre konnten die Schulden
aus der Zeit des 7-jährigen Krieges getilgt werden. Es wurde wieder viel
investiert, abzulesen an den Jahreszahlen der neu erstellten Gebäude.
Durch
das Eingreifen der europäischen Fürsten eskalierte die Situation in Frankreich,
das militärisch erstarkte. Plötzlich floh der kurfürstliche Bischof von Köln in
blinder Eile nach Arnsberg ins Sauerland, im Gepäck den goldenen Schrein der
Heiligen Drei Könige. Durch den Verkauf von einigen massiv goldenen Apostelfiguren
am Schrein konnte er ein den Umständen entsprechendes angenehmes Leben weiter
führen. Mit der Machtübernahme Napoleons verschwanden die Flüchtlinge überwiegend
wieder.
Die Erschütterungen der
französischen Revolution veränderten das kirchliche und weltliche Leben in
unserer Gemeinde grundlegend.
Den Autoren ist klar, dass an
dieser Stelle eine Zäsur vorliegt. Es ist geplant, die Geschichte von St. Benedikt
für das 19. und 20. Jahrhundert in gleicher Weise fortzuschreiben und eine
Biografie der einzelnen Pfarrer neu zu erstellen.
1Schwieters, J.:
Pfarrchronik von St. Benedikt Herbern
2 Johann Graf von Hoya
(* 18. April 1529 in Wiburg; † 5. April 1574 in Schloss Ahaus)
war bis zu seinem Tode unter dem Namen Johann II. Fürstbischof von
Osnabrück
seit 1553, Münster
seit 1566 und Paderborn seit 1568.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_II._von_Hoya)
3 Johann
Conrad Schlaun (1695 - 1773) war ein deutscher Baumeister des Barocks, der u.a. das
„Westfälische Versailles“ (Schloss Nordkirchen) und in Münster zahlreiche
Bauten wie das Schloss und den Erbdrostenhof schuf.
4 Wilhelm
Elling: Der Nachlass des Pfarrers von Ottenstein von, Vreden, in: Jahrbuch des
Kreises Borken 2003
5 Stadt Münster:
Münster und Westfalen zur Zeit des Westfälischen Friedens, Münster 1997
6 Schwieters, Julius:
Geschichtliche Nachrichten über den östlichen Teil des Kreises Lüdinghausen,
Münster 1886, Seite 302.
7 BAM, A13/1; Seite 251
8 Es
handelt sich hier um das Fachwerkhaus Schüttwall 26, jetzige Besitzerin Frau
Marlies Köckmann, davor Familie Josef Höhne.
9 Jan Brademann und Werner Freitag: Leben
bei den Toten, Rhema-Verlag, 2007
10 zitiert
nach Farwik, Josef: „Herbern - Geschichte eines Dorfes im Münsterland“, Dülmen,
1985, S. 163
11 Das
Haus stand früher da, wo heute „Schlecker“ ist.
12 Farwick
(s.o), S. 163f.
13 dsb.,
S. 165
14 Josef
Drees: „Beiträge zur Geschichte des Dorfes Herbern“, hrsg. in Herbern, August
1992, S. 56 f.
15 Julius Schwieters,
Geschichtliche Nachrichten über den östlichen Teil des Kreises Lüdinghausen,
Seite 302
16 BAM, Akte Herbern, 13/1