Im Folgenden können Sie zwei Augenzeugenberichte über die Hintergründe der Soldatengräber lesen:

 

Heinz Rogge:

„Gegen 5.00 Uhr morgens [am 31.03.1945; d. hrsg.] rollten die Panzer weiter in Richtung Forsthövel über die Merschstraße. Vorher hatte der damalige Bürgermeister Determeyer das Dorf einem amerikanischen Offizier übergeben. Etwa zwei Kilometer hinter dem Dorf Herbern in Richtung Mersch, in der Bauernschaft Forsthövel (Brünnemanns Ort) stießen die Amerikaner auf Widerstand. Hier hatte sich eine Einheit, die fast nur aus Offiziersanwärtern bestand [aber keine SS, wie Marga Spiegel behauptet1; d. Hrsg.], festgesetzt. [Sie waren über Horn gekommen, wo sie zunächst die Amerikaner erwarten wollten, konnten aber zum Weiterziehen bewegt werden, weil in der Scheune des Bauern Wesselmann medizinisches Gerät untergebracht war wie ein Röntgengerät, das später im Krankenhaus Herbern eingesetzt wurde. Dann wollten sie im Dorf kämpfen, wurden aber von dem damaligen Bürgermeister Determeyer gebeten, mit Rücksicht auf die Zivilbevölkerung weiterzuziehen, sodass Herbern ein Blutbad erspart blieb. D. Hrsg.] Die von Detmold auf Lastwagen herantransportierten Soldaten sollten eigentlich Herbern verteidigen. Dazu kamen sie wohl zu spät.

Bauer Heinrich Gräwe, dessen Haus und Scheune vollständig zerstört wurde, erzählte damals, dass er sich noch mit den jungen Soldaten unterhalten hatte, als die Kettengeräusche lauter wurden. Plötzlich seien die Soldaten verschwunden gewesen. Die ersten Panzer ließen sie durchrollen. Die nächsten schössen sie mit der Panzerfaust ab. Acht Panzer sollen sie abgeschossen haben. Heinrich Gräwe erzählte, dass er nur noch Feuer und Sachen durch die Luft fliegen sah. Im Bauernhaus Ferkmann-Hülsmann hatte sich eine Gruppe von deutschen Soldaten verschanzt. Bei einem Angriff auf das Haus mussten auch einige Amerikaner ihr Leben lassen. Die Amerikaner hatten mehr als hundert Panzer aufgefahren. Mehrere Bauernhäuser, wie Homann, Krampe und Gräwe, wurden in Brand geschossen und zerstört. Ausländer, wie Russen, die zu den Amerikanern überlaufen wollten, wurden von diesen erschossen, da die Amerikaner nervös geworden waren [und sie wohl für Deutsche hielten; d. Hrsg.].

Wie man später erzählte, sind diese einfach in einen Bombentrichter geworfen worden. Ihre Angehörigen werden nie etwas mehr von ihnen gehört haben. Die Amerikaner nahmen ihre Verwundeten und Toten und auch die geknackten Panzer mit. Man wollte wohl nicht die eigenen Verluste zeigen. Man hörte auch bald, dass 15 deutsche Soldaten ihr Leben lassen mussten. Ein Gefallener hatte keine Dienstmarke dabei, wohl aber einen Schwimmausweis, sodass man ihn erst fälschlicherweise für identifiziert hielt. Allerdings stellte sich später heraus, dass derjenige, dessen Name auf dem Ausweis stand, entkommen konnte. Daher der Grabstein des unbekannten Soldaten. Ironie am Rande: Kurz vor dem Panzerangriff hatte ein deutsches Flugzeug den Hof der Familie Kroes in Brand geschossen, weil die schon eine weiße Fahne gehisst hatten.

 Der Hauptmann, der, als es brenzlicher wurde, einen Zivilanzug haben wollte, bekam diesen von den erbosten Bauern nicht mehr. Vor dem Kampf hatte er das angebotene Zivilzeug abgelehnt.“

 

 

 

Bei einem von beiden (?) handelt es sich um Adolf Böhmer (letzte Adresse: Brückenstr. 12, 59519 Möhnesee-Körbecke) bei dem Besuch ihrer alten Kameraden.

 

 

Bericht eines jungen Soldaten, der an dem Gefecht in Forsthövel teilgenommen hat

(in Auszügen, Name des Verfassers nicht bekannt)

..... „Beim Panzerfaust-Schießen, das jeder von uns absolvieren musste, explodierte die Granate im Gehäuse, Drei unserer Kameraden waren sofort tot.

Die letzte Phase des Härte-Lehrgangs waren Erdbunker in Hiddesen. Ein Ereignis ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Während einer Feldübung musste ich die Bunker bewachen. Da komme ich bei meinem Streifengang in eine Waldlichtung. Dort waren ältere Männer mit einem Judenstern am Mantel beim Baumfällen. Bewacht wurden sie von einem 18jährigen SS-Mann. Wir beide haben dann die Qual dieser Juden bedauert und für schlimm gehalten. Kurz darauf kam ein Unterscharführer und trieb die armen Männer an, die unsere Väter hätten sein können.

Weihnachten 1944 stand vor der Türe. Ich wurde ausersehen, Hefe aus unserer Bäckerei für die Inspektion zu besorgen. Auf der Fahrt nach Soest hielt der Zug in Bad Sassendorf und konnte nicht weiter. Überall Bombenkrater auf dem Bahngeleis. Soest war angegriffen worden und brannte noch in der Ferne. Es war der 6. Dezember 1944. In Körbecke traf ich dann meinen Vetter Richard Giebel, der von der Invasionsfront kam. Er war damals Fahnenjunker-Unteroffizier. Im Januar wurden wir dann auch befördert zu ROB-Gefreiten [vermutlich eine Abkürzung für: PzRegt 25 "Rothenburg"; d. Hrsg.]. In Detmold nahmen Fliegeralarm und auch die Bombenabwürfe zu. Die Alliierten haben bei Wesel über den Rhein gesetzt und kreisten das Ruhrgebiet ein.

Am 25. März 1945 rücken wir feldmarschmäßig aus Detmold dem Feind entgegen. Bepackt mit Panzerfäusten und MG [Maschinengewehr; d. Hrsg.]auf der Schulter marschierten wir in der Nacht los. Der Marsch geht über Augustdorf, Schloss Holte nach Wintergalen bei Beckum. Hier bekomme ich Besuch von Onkel Josef Düpmeier, der mich dort ausgemacht hatte. Doch wir müssen weiter über Ahlen, Walstedde bis vor Herbern. Dort treffen wir am Karsamstag, dem 31. März 1945 früh im Dämmerlicht auf die Panzerspitze der Amerikaner. Wir springen in den Straßengraben. Ich bin bepackt als MG-Schütze 2 mit MG-Gurten, die mir um den Hals hängen. Doch dann geht das Inferno los. Panzerfäuste werden abgeschossen, unser MG bellt. Die Amerikaner antworten mit Kanonenfeuer. Überall blitzt und kracht es. Die Panzer brennen so nahe, dass wir sie fast berühren könnten. Der vor uns stehende Panzer brennt so lichterloh, dass der Graben erleuchtet ist. Wir rennen um unser Leben. Ich werfe die MG-Gurte weg und versuche, in einer Mulde erneut Deckung zu finden. Hermann Kaufmann ist neben mir und wir rennen über Hecken und Zäune, rechts und links die Garben der Leuchtspuren zischen vorbei. Wir haben die Mulde erreicht und finden uns allein, ohne unsere Kameraden. Die Hälfte unserer Gruppe ist hier zu Tode gekommen (15 Kameraden liegen in einer Reihe auf dem Friedhof in Herbern).

Der Kriegslärm an der Straße geht weiter auf Hamm zu. Wir haben ein Wäldchen erreicht und verstecken uns, da es hell geworden ist. Immer wieder Flugzeuge über uns und Granateinschläge. Wir können es nicht fassen, dass wir unverwundet aus dieser Hölle entkommen sind. Der Herrgott hat es noch mal gut mit uns gemeint.

In den Büschen des Wäldchens hocken wir und warten ab. Dann kommt der Gedanke „wir haben ja einen Eid auf den Führer geleistet, wir müssen wieder in den Kampf, sonst erschießt man uns als Fahnenflüchtige". Aus der heutigen Sicht sind diese Gedanken grotesk, doch die ständige Einflussnahme der Propaganda zeigte auch hier noch Wirkung. Während wir diesen Gedanken anhingen, sehen wir plötzlich durchs Unterholz eine khakifarbene Kleidung. Hermann und ich ziehen die Pistole (als MG-Schütze hatten wir die noch am Koppel). Wir glaubten, einen Amerikaner vor uns zu haben. Doch ein älterer Bauer hatte während der Kamphandlungen seinen Hof verlassen und war in den Wald geflüchtet. Er schreit uns an, wir sollen die Pistolen herunternehmen, der Krieg ist doch verloren und vorbei. Er sei selbst Soldat im l. Weltkrieg gewesen und er kenne sich aus. Nun wird uns zum erstenmal bewusst, dass Endsieg und Wunderwaffe nichts als Lüge, nichts als Lügen sind. Jetzt beginnt der längste Tag meines Lebens. Der Bauer Offermann bietet uns seinen kleinen Unterstand in seinem Obsthof an, den wir bei Dunkelheit aufsuchen sollen. In der Ferne immer wieder Kanonendonner und Flugzeuge. In der Ferne sehen wir den Hof und warten und warten. Die Sonne bewegt sich nicht, der Tag wird länger und länger. Wir müssen über freies Feld und Panzergeräusche halten uns in Deckung. Es ist ein komisches Gefühl, heil dem Inferno entronnen zu sein, doch den rettenden Unterschlupf nicht erreichen zu können. Todesangst weicht immer mehr. Durst und Hunger nehmen zu. Dann schleichen wir im Dämmern in unseren Unterstand. Welch eine Überraschung: Bauer Offermann hat frisches Stroh, 2 Dosen Fleischkonserven und Brot hineingelegt. Voller Glückseligkeit laben wir uns und fallen dann in einen tiefen Schlaf, da wir schon Tage nicht mehr geschlafen haben. Es ist Ostersonntag 1945. Beim Schielen aus dem Loch entdecken wir auf dem Nachbarhof eine Panzer-Raparatur-Werkstatt. Motorenlärm und fremdländische Laute klingen an unser Ohr. Wir sind in einer misslichen Lage. Mit unserer Uniform haben wir keine Chance, der Gefangenschaft zu entgehen. Herr Offermann will uns Zivil-Kleidung besorgen. Wir vergraben unsere Pistolen. Wir warten und warten, es wird Abend. Wir schlafen vor Müdigkeit ein. Ein folgenschwerer Fehler. Es wird Ostermontag, ein Tag, der unser Leben in eine ganz andere Richtung lenkt und unsere Ausbildung und den Beruf grundlegend ändert.

Noch schlaftrunken wachen wir auf, da stehen drei riesige schwarze Amerikaner vor unserem Loch. Sie wollten jagen und dabei haben die Hunde uns in dem Unterstand gewittert. Hands up, hands up wurde gerufen und wir mussten aus dem Loch kriechen. 18 Jahre - unser Schicksal ist besiegelt, wir sind Kriegsgefangene. In der Panzerwerkstatt beginnt ein lautes Halloh und immer wieder little boys, little boys. Sämtliche Hühner des Bauern lagen geschlachtet auf einem Tisch. Jetzt nahm man uns die Uhren ab, wobei mein Amerikaner auf jedem Arm schon zweie hatte. Jetzt kommt ein anderer Amerikaner und schneidet mir aus meiner Uniform den Hoheitsadler mit Hakenkreuz heraus. Er verletzt mich noch dabei. Da ertönt ein Kommando, wir müssen uns auf den Kühler eines Jeep setzen und finden nur Halt an der Antenne. Jetzt geht es im Tempo auf die Straße nach Drensteinfurt. Unvermittelt halten wir nach einigen Kilometern an einer Scheune. Mit dem Schnellfeuergewehr werden wir von einem Amerikaner an die Scheunentür gedrängt. Mit erhobenen Armen stehen Hermann und ich nebeneinander an der großen Tür. Der Amerikaner geht zurück, legt das Gewehr an und zielt. Dann schreit er mit verbissenem Gesicht. Sekunden vergehen, ich erwarte einen Feuerstoß. Doch nichts geschieht. Er nimmt sein Gewehr wieder herunter und lacht lauthals. Voller Freude hat er sich an unserer Angst geweidet. Noch Jahre später bin ich im Traum aufgewacht und war nassgeschwitzt. Was der Grund gewesen ist: Hat dieser Amerikaner Freunde oder Verwandte durch Deutsche verloren, war er ein Deutschenhassen, ich habe keine Antwort darauf.

Wir müssen wieder auf den Jeep und werden in das Bürgermeisteramt von Drensteinfurt verbracht. Unablässig fahren durch den Ort amerikanische Panzer. Das ganze Haus bebt. Wie konnten wir nur so größenwahnsinnig sein und gegen diese Macht antreten. Ca. 40 Gefangene waren in der Zwischenzeit in dem Raum und Hermann Kaufmann und ich versuchten uns nicht aus den Augen zu verlieren. Jetzt werden wir auf einen riesigen Sattelschlepper verladen und stark bewacht nach Wiedenbrück auf eine Wiese am Wasserturm gebracht. Nun sind es schon Hunderte von Gefangenen. Alles was noch an Gepäck mitgeschleppt wird, muss auf einen Haufen geworfen werden. Nun sind wir alle gleich, keiner hat mehr als der andere. Weiter geht dann die Fahrt nach Lüdinghausen in eine Ziegelei. Neben uns liegt einer mit einem Bauchschuss, der stöhnt vor Schmerzen. Keiner kann ihm helfen und in der Nacht ist er verstorben.

Die Fahrt geht weiter bis zum Bahndamm in Dülmen. Hier ist schon ein Lager auf freiem Feld. Jetzt wird eine lange Kolonne von Sattelschleppern zusammengestellt. Die Fahrt geht zum Rhein. Wir überqueren bei Wesel über eine Pontonbrücke den Rhein. Ein schweres Gewitter hängt über uns. Die Blitze schlagen in die Fesselballons und deren Seile fallen über uns hinweg. Wir kommen ohne Schaden hinüber. Die Fahrt endet im berüchtigten Gefangenenlager Rheinberg. Hier hausen wir in Erdlöchern und vegetieren dahin. Doch diese Hölle dauerte nicht lange.

In Eisenbahnzügen erreichen wir Namur in Belgien. Hermann Kaufmann ist immer noch bei mir. Nun werden wir verladen im Kohlewaggon in Richtung Frankreich. Auf den Kohlewagen ist es so eng. Wir stehen alle Kopf an Kopf. Umfallen ist nicht möglich. Wir werden langsam durch den Kohlenstaub schwarz wie die Neger. Kümmerlich ist die Verpflegung. Eine kleine Dose mit Bohnen ist die tägliche Ration. Doch das ist nicht das Schlimmste. Überall auf den Brücken, unter denen wir hindurchfahren, stehen hasserfüllte Menschen. Immer wieder drohen sie mit einer Gebärde, als wolle man uns den Kopf abschneiden. Sie spucken auf uns und an der belg.-französichen Grenze werfen sie eine Holzbohle auf den Gefangenentransport. Hinter uns soll es Tote gegeben haben. Es ist ein Hass ohnegleichen, erst dem Krieg entronnen und dann diese Gefahren. Etwas friedlicher wird es, als wir das Kohlenrevier an der Grenze verlassen. Die vielen Menschenleiber werden in den Kurven aneinander gepresst. Man stand hilflos eingekeilt zwischen den Gefangenen. Ich habe mit Hermann immer wieder versucht, an den Seitenwänden Halt zu finden. Wir konnten soeben über den Waggonrand sehen. Manche Landser erkannten die Gegend, wir fuhren auf Paris zu.“

 

1Spiegel, Marga: Retter in der Nacht, 3. Aufl. 1999, S. 155